Rescue me - Ganz nah am Abgrund
noch nicht bereit dafür.“ Sie hob ihr Buch hoch vors Gesicht.
Ryan biss sich auf die Lippe. Scheiße. Er hatte doch nur Spaß gemacht. Doch so wie es aussah, verstand sie damit keinen Spaß.
„Ob Onkel Phils altes Boot immer noch am Steg liegt?“, fragte er, um sie abzulenken. „Wenn es noch da ist, könnten wir damit auf den See hinausrudern. Was hältst du davon?“ Er fühlte sich rastlos, unruhig, seine Hände mussten was zu tun haben.
Doch seine Mom schüttelte nur den Kopf. „Später vielleicht, okay?“
Am Ende des Abends lag Ryan in der kleinen Koje und starrte ins Dunkel. Es war stickig, das nur einen Spalt weit geöffnete Fenster konnte nichts dagegen ausrichten. Eigentlich hätte er gut schlafen müssen. Die Rudertour, die er doch noch rund um den See gemacht hatte, war ziemlich anstrengend gewesen. Aber er tat kein Auge zu.
Es war einfach zu heiß, und zu viele Gedanken gingen ihm im Kopf herum. Deswegen erhob er sich, holte eine Flasche Cola und schlich sich raus auf die Veranda. Allerdings war es hier auch nicht besser. Aus der Hitze des Tages war dunstige Schwüle geworden. Leises Grollen verriet, ein Gewitter hing in der Luft.
Vom Liegestuhl aus sah er über den See hinaus. Der Typ von der anderen Seite veranstaltete wohl eine Art Nachtangeln, Ryan konnte leuchtende Punkte auf dem Wasser tanzen sehen. Sein Dad hatte so was auch oft getan. Auf Hechte geangelt.
Es war still. Kein Laut war zu hören. Eigentlich wäre es ganz okay hier. Wenn – wenn Tyler ebenfalls hier gewesen wäre.
Er liebte ihn.
Hier, jetzt so ganz alleine, konnte er es sich ruhig eingestehen. Er war nicht nur verliebt in ihn, nein, er liebte Tyler aus vollem Herzen. Und er vermisste ihn. Nicht nur so ein bisschen, wie man jemanden vermisste, mit dem man einfach gut befreundet war. Sondern so, dass es wehtat.
Herzschmerz. So nannte es seine Grandma immer. Ein altmodisches Wort, doch er mochte es. Er seufzte und schlug nach einer Mücke, die um ihn herum schwirrte. Er hätte ihm sagen sollen, dass er ihn liebte. Schließlich hatte Tyler es ihm auch schon gesagt.
Wenn er die Augen schloss, sah er ihn noch in den verknitterten Laken liegen. Er setzte sich auf. Wo war sein Zeichenblock? Da, auf dem Tisch. Dort stand auch die Kerze, daneben lagen Streichhölzer.
Das bisschen Licht musste genügen. Hastig begann er, zu zeichnen. Die große Gestalt, hingegossen in zerknüllte Laken, einen Arm im Nacken, den anderen locker im Schoß. Ein Bein ausgestreckt, das andere etwas angewinkelt. Die Augen leicht geschlossen, ein sinnliches, träges Lächeln in den Mundwinkeln. Jetzt die langen Haare, ausgebreitet über Kissen und Brust. Lange schlanke Finger, sie umspielten seinen Penis, der schon etwas aufrecht stand.
Er schnaufte, als er daran dachte, wie er vor dem Sofa gekniet hatte, Tylers Schwanz tief in seinem Mund. Wie er daran geleckt und herumgeknabbert hatte, wie an einem besonders köstlichen Eis am Stiel. Genauso, wie Tyler es bei ihm gemacht hatte. Hitze stieg in ihm auf. Und wie Tyler dabei gestöhnt hatte. Ihn förmlich anbettelte, weiterzumachen – und er hatte weitergemacht.
Bis es ihm kam. Noch immer glaubte er, diesen Geschmack auf der Zunge zu haben. Irgendwie salzig und erdig. Eine völlig neue Erfahrung. Und er wollte mehr davon. Aber auch davon hatte er Tyler nichts gesagt.
Ich möchte mit dir schlafen.
Immer, wenn er daran dachte, und er dachte eigentlich ständig daran, zog sich etwas in seinem Inneren zusammen.
Sex haben. Liebe machen. Miteinander schlafen. Mit Tyler.
Er spürte, wie ihm die Röte in die Wangen kroch, als er sich vorzustellen versuchte, wie es wohl wäre. Tyler. In ihm. Er erschauerte.
Ty. Was war er jetzt? Sein Freund. Sein fester Freund? Lover?
Er zog sein Handy aus der Hosentasche. Jetzt würde er ihn anrufen, musste dringend mit ihm reden. Ihn fragen. Einfach nur seine Stimme hören. Nein. Er wollte ihm sagen, dass er ihn liebte. Schnell drückte er die Taste, unter der seine Nummer gespeichert war. Es tutete zweimal, dann brach die Verbindung ab – kein Empfang. Wieder mal. „Mist!“
Ryan sprang auf.
Es hatte keinen Zweck. Hier würde er nicht bleiben. Keine Minute länger. Er wollte nach Hause. Sofort!
Ein Blick auf die Uhr verriet, es war erst kurz vor fünf, aber das war ihm egal. Schnell huschte er in die Küche und nahm den Autoschlüssel vom Tisch. Er hatte zwar keine Fahrerlaubnis, doch fahren konnte er. Zumindest theoretisch. Praktisch fehlte ihm jede Menge
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