Rescue me - Ganz nah am Abgrund
Übung.
Er redete sich ein, jetzt um diese Uhrzeit, würde schon alles gut gehen, ihn keine Streife anhalten. Auf die Rückseite einer alten Tankquittung schrieb er eine kurze Nachricht. Die klemmte er an die Kaffeemaschine, da würde seine Mom sie auf jeden Fall finden. Für einen Moment hatte er ein schlechtes Gewissen, aber er wusste, sie würde ihn verstehen. Nicht gleich sofort, aber später. Hoffentlich.
Zwischen den Baumwipfeln wurde es schon etwas hell, nicht lange, dann würde die Sonne ganz aufgehen. Vom Wildwood Lake bis nach Hause war es gut eine Stunde Fahrt. Er bräuchte aber mit Sicherheit viel länger. Vermutlich wäre er so gegen sieben bei Tyler. Später könnten sie dann vielleicht gemeinsam mit Brad hierher zurückfahren, ihr den Honda wiederbringen.
Er war gerade die Treppe hinunter gestiegen, als plötzlich etwas raschelte. Es kam aus dem Gebüsch, einige Meter von der Stelle entfernt, an der seine Mom den Wagen geparkt hatte. Zweige knackten. Reflexartig tauchte er in den Schatten einer hohen Kiefer. Lauschte in die Dunkelheit. Seine Gedanken rasten. Lauerte da etwa jemand? So wie neulich Nacht? Da hatte er auch eine Mülltonne scheppern gehört, so als sei jemand versehentlich daran gestoßen, bevor ihn grobe Fäuste gepackt hatten. Ihn zu Boden warfen.
Ein Ast brach, laut wie Donnerhall kam es ihm vor. Ryan schmiegte sich erschrocken an den Stamm. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Da war doch wer!
Angst durchflutete ihn. Seine Nackenhärchen stellten sich auf, er glaubte, die Gefahr mit Händen greifen zu können. Nervös packte er den Autoschlüssel fester. Jetzt wünschte er sich nichts sehnlicher, als Tyler an seiner Seite zu haben.
„Fuckin’ Shit!“ Jemand fluchte unterdrückt.
Ryan blieb fast das Herz stehen. Diese Worte hatte er doch schon einmal gehört! Erst klapperte die Tonne, dann hörte er den Fluch. Wer immer dort in der Gasse gewesen war, war jetzt auch hier. Und wollte mit Sicherheit kein Nachtangeln veranstalten. Eher Hasenjagd. Sollte er der Hase sein?
Schnell schätzte er den Abstand zum Wagen. Es waren nur drei, vier Schritte. Konnte er es schaffen? Konnte? Er musste einfach!
Langsam ließ er sich etwas zu Boden sinken und glitt geduckt zur Beifahrertür, die war von ihm aus am schnellsten zu erreichen. Und er wusste, sie war nicht abgeschlossen. Die Zentralverriegelung war defekt, genauso wie die Innenbeleuchtung. Er hätte sich schon längst darum kümmern sollen, es bislang aber immer vor sich hergeschoben. Jetzt war er froh darüber.
Möglichst geräuschlos versuchte er, die Tür zu öffnen und auf den Sitz zu rutschen. Zog sie ran, ließ das Schloss aber nur halb einrasten. Es galt, jeden Lärm zu vermeiden. Dann schob er sich hinüber auf die Fahrerseite und tauchte runter in den Fußraum. Es war echt von Vorteil, so dünn zu sein.
Vorsichtig lugte er durch die Scheibe und wartete. Wer immer da draußen war, musste gleich zu sehen sein. Es gab nur diesen schmalen Weg, der von der Hauptstraße hin zur Hütte führte.
Und richtig!
Zwei dunkle Gestalten tauchten auf dem Pfad vor ihm auf. Ihre schwarzen Silhouetten waren gegen die hellere Wasseroberfläche gut zu erkennen, die Gesichter zeichneten sich als Flecken davor ab. Ryan schluckte. Einer der beiden war Allan, den erkannte er an der massigen Figur, an dem blöden Base-Cap. Den anderen kannte er nicht. Was wollten die beiden hier? Dass die sich hier rumtrieben, konnte doch kein Zufall sein, völlig ausgeschlossen! Wollten sie etwas von ihm?
Ein Gedanke schoss ihm durch den Kopf. Der Überfall. Es musste etwas mit dem Überfall zu tun haben! Aber was? Suchten sie nach dem mysteriösen Päckchen, von dem er immer noch nicht mehr wusste, als vor vierzehn Tagen? Nämlich gar nichts?
Die beiden waren jetzt fast heran. Ryan legte den Kopf auf den Sitz und erstarrte zur Salzsäule. Seht nicht hier hinein, betete er lautlos. Bitte nicht! Sein Herz trommelte so hart gegen die Rippen, er glaubte schon, es müsse auch draußen im Freien zu hören sein. Alles in ihm schrie ‚Flucht‘, doch er zwang sich, sich nicht zu rühren, presste die Kiefer fest aufeinander – und hatte Glück!
Ohne den Honda zu beachten, schlurften sie an ihm vorbei. Dabei unterhielten sie sich nicht gerade leise. Ryan spitzte die Ohren. Vielleicht konnte er etwas herausfinden.
„Am Besten, wir verstecken uns dort drüben. Und wenn er auftaucht, kassieren wir ihn ein. Der kleine Wichser wird uns schon sagen, wo er das Zeug
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