Rescue me - Niemand wird dich schützen
einem Pferdeschwanz. Bevor sie aus ihrem Schlafzimmer ging, fiel ihr Blick in den großen Spiegel, und sie erschrak.
Das Bild, das ihr zurückgeworfen wurde, war das von Devon Winters. Ja, da waren noch die anderen, neuen Gesichtszüge, aber Devon war unverkennbar. Zum ersten Mal seit Jahren erblickte Eden das junge Mädchen, das zu vergessen sie sich so sehr bemüht hatte. Warum jetzt? Und dann traf es sie wie ein Schlag. Es waren nicht die Gesichtsrekonstruktionen während Dutzender Operationen, die Devon in Eden verwandelt hatten. Vielmehr war es die »Ich kann alles überleben«-Haltung gewesen, die Eden angenommen hatte. Nachdem sie die nun verloren hatte, war das kleine Mädchen wieder da. Die klaren grauen Augen, die sie mit solcher Mühe verborgen hatte, starrten sie verwirrt und voller Kummer an. Sie sah genau wie das gebrochene junge Ding aus, das sie früher einmal gewesen war.
Bei dem Gedanken fand vor ihren Augen eine Wandlung statt, als hätte jemand einen Zauberstab geschwungen. Eden St. Claire hatte zu viel überwunden, unsäglichen Schmerz und Traumata durchlitten und verdammt noch mal zu viel Gutes in ihrem Leben getan, als dass sie sich wieder brechen ließ!
Ja, sie hatte den Mann verloren, den sie liebte, und, ja, sie hatte einige riesige Fehler begangen, aber sie weigerte, weigerte sich, das alles überwiegen zu lassen, was sie erreicht hatte.
Zum ersten Mal seit sehr langer Zeit war Eden nachsichtig mit sich.
Und nachdem sie sich wieder halbwegs wie sie selbst fühlte, ging sie in die Küche. Es war über vierundzwanzig Stunden her, seit sie etwas gegessen hatte. Nicht hungrig zu sein, war keine Entschuldigung dafür, sich nicht um sich zu kümmern.
Sie hatte sich gerade eine Tasse Kaffee eingeschenkt und wollte ihr Frühstück beginnen, als es an der Tür läutete. Nein, sie erlaubte sich nicht einmal zu denken, dass es Jordan sein könnte, der ihr eine letzte Chance gab, während sie die Tür aufriss und nur verwundert in das Gesicht starrte, von dem sie nie erwartet hätte, es je wiederzusehen.
»Hallo, Liebling. Habe ich dir gefehlt?«
Das Trauma der letzten zwei Tage verlangsamte ihre Reaktionen. Sie streckte einen Arm aus, um ihn abzuwehren. Bevor sie ihn berührte, fühlte sie etwas Kleines, Zylinderförmiges, das gegen ihren Hals drückte. Ihre Muskeln waren zunächst wie versteinert, dann gaben sie nach. Eden merkte, wie sie zu Boden sackte. Sie konnte gerade noch denken, wie lächerlich es war, dass sie diesen Mann irgendwann einmal für attraktiv und harmlos gehalten hatte. Dann wurde alles um sie herum dunkel.
23
Erbarmungslose, dunkle Stille beschwerte die Luft. Jordans Herz, seine Seele, alles schmerzte. Ein halb volles Glas Scotch stand auf dem Tisch neben ihm: Eine höhnische Erinnerung daran, dass er sich betrinken und dann Devons Akte lesen wollte. Er hatte einen Schluck genommen, die Akte geöffnet … und war in die Hölle gestürzt.
Inzwischen warf die Morgendämmerung einen gräulichen Lichtschimmer in sein Wohnzimmer, während Jordans müde Augen auf das Dokument vor ihm starrten, als handelte es sich um einen Korb voller Giftschlangen.
Derweil gingen ihm wieder und wieder Fetzen des Arztberichts durch den Kopf.
Patientenname: unbekannt
Verletzungen: Schwere Gehirnerschütterung. Tiefe Schnittverletzungen im Gesichtsbereich, Kiefer und Nasenbein gebrochen, Handgelenksfraktur links, Knöchelfraktur links, gebrochenes Schambein. Vaginale und anale Blutungen sowie deutliche Hämatome im gesamten Genitalbereich lassen auf mehrfache, brutale Vergewaltigung schließen.
Gesichtsfrakturen erfordern rekonstruktive Operationen.
Unterkühlung und starker Blutverlust.
Kein Ausweis und besondere Merkmale auffindbar bis auf eine
Tätowierung in Form eines blauen Kolibris auf der rechten Schulter des Opfers.
Dem Bericht zufolge wurde sie in der Nacht des sechsten April in einer Seitengasse zwei Blocks von seinem Haus entfernt gefunden. Alles musste unmittelbar passiert sein, nachdem sie von ihm weggegangen war. Nachdem er ihr all diese scheußlichen, gemeinen Sachen an den Kopf geworfen hatte. Gleich danach war sie in einen noch viel schrecklicheren Albtraum gestürzt. Sie war nicht bloß überfallen worden. Man hatte sie über Stunden auf brutalste Weise verprügelt und sexuell missbraucht … gefoltert.
Wie musste sie ihn gehasst haben. Hätte er ihr doch zugehört, sie bleiben und alles erklären lassen! Wenn er ihr nur ein Taxi gerufen hätte, wäre all das nicht
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