Rescue me - Niemand wird dich schützen
Familienanwesen zu nehmen. Zwar waren ihre Chancen, dort brauchbare Informationen zu finden, eher dürftig, doch sie hätte immerhin Gelegenheit, ein bisschen herumzuschnüffeln. Und falls es etwas zu finden gab, würde sie es entdecken. Das hier jedoch war um ein Vielfaches besser. Sie wäre in Marcs Haus, zusammen mit dem versammelten Larue-Clan. Dennoch sagte sie zögernd: »Ja, das hat er … aber …«
»Nichts aber, meine Liebe. Du hättest endlich einmal eine wohlverdiente Pause und ich das Privileg, mit dir zusammen zu sein. Außerdem lernst du dort meine Familie kennen. Ich bin sicher, dass du sie alle genauso lieben wirst wie ich.«
Da Liebe zu Pädophilen und Mördern nicht unbedingt zu ihren Charaktermerkmalen zählte, bezweifelte sie das. »Ach, Georges, das klingt ganz wunderbar!« Sie senkte den Blick, als wäre sie noch hin- und hergerissen. Einen Moment später gab sie vor, sich zu einer schwierigen Entscheidung durchzuringen, blickte auf und sagte: »Also gut.«
»Hervorragend, Liebling, ich werde …«
»Devon? Mein Gott, bist du das?«
Die raue, tiefe Stimme würde sie überall wiedererkennen. Vor Jahren hatte sie ihre unschuldigen Träume mit Freude erfüllt. Danach bescherte sie ihr Albträume. Und jetzt, in diesem Augenblick legte sie ihr Inneres in Schutt und Asche.
Sie erstarrte. Die Zeit stand still. Ihr Atem stockte. Ihr Herz schlug nicht mehr. Kaum eine Sekunde später jedoch kehrte Leben in sie zurück. Kühl blickte sie zu dem Mann auf, der vor ihr stand. » Je crois que vous vous trompez. « (Ich fürchte, Sie irren sich.)
4
Jordan blickte hinab auf die atemberaubend schöne Frau, deren leuchtend grüne Augen vor Zorn buchstäblich Funken sprühten. Sie sah kein bisschen wie Devon aus. Wie lächerlich, dass er es tatsächlich geglaubt hatte. Diese Frau, so umwerfend sie sein mochte, konnte niemals den reinen, unschuldigen Liebreiz von Devon besessen haben.
Mit ihrem langen rotblonden Haar, Augen wie klarem grünen Glas, ihrer aristokratischen Nase und dem leicht spitzen Kinn signalisierte sie nichts als Reife, Unnahbarkeit und Erfahrung. Kein Vergleich zu dem bezaubernden Mädchen, der bezaubernden jungen Frau, die Jordan vor Jahren kannte.
»Excusez-moi. Je me trompe. Pardonnez-moi, s’il vous plaît.« (Entschuldigen Sie, ich habe mich geirrt. Verzeihen Sie mir bitte.) Jordan verneigte sich und kehrte an seinen Tisch zurück.
Ihm fiel auf, dass die Frau sich weiter angeregt mit ihrem Begleiter unterhielt, als wäre nichts gewesen. Ihre hübschen Schultern bebten, wenn sie leise lachte. Diese Schultern … sie waren es, die ihn auf sie aufmerksam gemacht hatten. Vielmehr ihre rechte Schulter. Nackt, cremefarben und mit einem kleinen Tattoo: einem Kolibri. Das
gleiche Tattoo hatte Devon gehabt, und es war auf ihrer rechten Schulter gewesen – wie bei dieser Frau.
Aber die Frau war nicht Devon. Sie hatte nichts mit ihr gemein außer diesem Tattoo.
Jordan starrte finster auf sein Essen, das er bisher genossen hatte. Ein solcher Fehler war ihm seit Jahren nicht mehr unterlaufen. In der ersten Zeit nach Devons Verschwinden hatte er sie überall gesehen – an jeder Straßenecke, in jedem Restaurant, jeder Bar. Er war geradezu besessen gewesen.
Als ihm klar wurde, dass die Polizei sie nie finden würde, ließ er sich beurlauben. Mit seiner Erfahrung und seinen Kontakten sollte es ein Kinderspiel sein, eine junge Frau aufzuspüren. Sechs Monate später, als er sämtlichen Spuren gefolgt war und sich alle als Sackgassen erwiesen hatten, kam er zu demselben Schluss wie die Polizei: Devon Winters war unauffindbar.
Ob ihr etwas Furchtbares zugestoßen war oder sie es irgendwie geschafft hatte, Hunderten von Leuten zu entwischen, konnte er nicht sagen. Und so sah Jordan schließlich ein, dass sie entweder nicht gefunden werden wollte oder tot war. Die erste Möglichkeit machte ihn maßlos wütend, die zweite bescherte ihm entsetzliche Schuldgefühle.
Er erinnerte sich noch sehr gut an die Dinge, die er ihr gesagt hatte, den Schmerz in ihrem Gesicht. Sein Zorn war gigantisch gewesen, und die Worte, die ihm über die Lippen kamen, schockierten sogar ihn selbst. Jordan war berühmt für seine Selbstbeherrschung. Selten entfuhr ihm überhaupt ein scharfes Wort, von der rasenden Wut, in die er in jener Nacht verfiel, ganz zu schweigen.
Nein, er weigerte sich, abermals in diesem Abgrund zu versinken. Wäre ihm erlaubt, die Zeit zurückzudrehen
und ein einziges Ereignis in seinem
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