Rescue me - Niemand wird dich schützen
durchfuhr sie ein Schmerz, wie sie ihn seit Jahren nicht mehr gekannt hatte. Herr im Himmel, sie musste weg hier!
Sie wandte sich zu ihm um und sah ihn mit einer Mischung aus Überraschung und Neugier an. »Ja?«
»Ich würde Sie gern wiedersehen. Vielleicht zum Abendessen. Wäre das möglich?«
Sie schluckte ein hysterisches Lachen herunter und fragte sich, was er täte, wenn sie sich vorbeugte und ihm
ihr hervorragendes Mittagessen auf die blanken teuren Schuhe kotzte. »Nein, ich fürchte, das ist unmöglich. Ich bin eine verheiratete Frau.«
»Aber nicht mit dem Mann verheiratet, mit dem Sie zu Mittag aßen.«
Das konnte er nicht wissen, also riet er bloß, was wiederum recht dreist war. Sie war fast erleichtert, dass sie nun wütend wurde. »Ich wüsste nicht, was Sie das angeht.«
Er ließ ihren Arm los und trat einen Schritt zurück. »Ich habe Sie schon wieder verärgert. Verzeihen Sie.«
Mit einem knappen Kopfnicken nahm sie seine Entschuldigung an und wollte die Taxitür öffnen. Doch Jordans Hand kam ihr zuvor. »Gestatten Sie?«
Eden stieg in das Taxi. Ihre Erleichterung, ihm endlich zu entkommen, war so groß, dass ihr schwindlig wurde und sie für einen Moment die Orientierung verlor. Bevor sie die Tür wieder schließen konnte, beugte er sich hinunter und sah sie so eindringlich an, dass sie das Gefühl hatte, seine dunkelbraunen Augen würden ihr direkt in die Seele blicken. »Bonne journée, madame.«
»Au revoir, monsieur« , flüsterte sie.
Dann schlug er die Tür zu, und das Taxi fuhr los.
Gütiger Gott, wie hatte er sie nur gefunden?
Blind starrte sie auf den Hinterkopf des Fahrers, während sie sich anstrengte, an nichts zu denken. Falls sie sich rührte, auch nur blinzelte, sich gestattete, irgendetwas zu empfinden, wäre alles verloren.
Als sie endlich vor ihrem Apartmenthaus ankam, legte Eden ein Bündel Francs-Noten auf den Beifahrersitz, noch ehe der Fahrer etwas gesagt hatte, stieß die Tür auf und stürzte aus dem Wagen.
Das Zittern begann in dem Moment, in dem sie ihre
Wohnungstür öffnete. Sie hatte immerhin noch die Geistesgegenwart, sie hinter sich zuzuknallen; verriegeln würde sie sich automatisch. Drinnen lockerte sie ihren Klammergriff von der Handtasche, die mit einem dumpfen Aufprall zu Boden fiel, während Eden schon stolpernd ins Bad rannte. Ein Schluchzen baute sich in ihr auf, explodierte. Unzählige Gefühle vermengten sich in ihr zu einem Gemisch aus kochender Wut und Angst.
Sie schaffte es gerade noch rechtzeitig zur Toilette, in die sie ihr Frühstück und ihr Mittagessen erbrach. Würgend und nach Luft ringend versuchte sie, die Erinnerungen abzustellen, die sie bombardierten. Nein. Sie würde nicht zulassen, dass sie wiederkamen. Sie erinnerte sich an wenig, doch selbst das war noch zu viel. Sie wollte sie ganz aussperren, hatte gelernt, wie sie die schrecklichen Bilder abtöten konnte.
Schließlich zwang sie sich aufzustehen, betätigte die Spülung und schwankte zum Waschbecken. Unfähig, den Anblick des Entsetzens zu ertragen, das sich in ihrem Gesicht abzeichnen musste, mied sie es, in den Spiegel zu schauen, während sie ihr Gesicht wusch und sich den Mund ausspülte. Mit einer Hand hielt sie sich am Waschbeckenrand fest, als sie sich wieder aufrichtete. Dann drehte sie sich um und versuchte, ihr wenige Meter entferntes Bett zu fixieren. Die Dunkelheit kam, schloss sie ein. Ihr Verstand sträubte sich, warnte sie, befahl ihr, sich zusammenzureißen, dann könnte sie es durchstehen.Bis in die Mitte des Schlafzimmers schaffte sie es, aber dort brach alles in ihr zusammen. Die Finsternis rückte näher. Eden streckte beide Arme nach vorn aus, wollte das Bett erreichen. Doch sie hörte einen entfernten, festen Knall, fühlte vage einen schmerzenden Hieb an ihrem tauben Körper und wusste, dass sie
fiel. Entsetzliche, viel zu realistische Bilder blitzten in ihrem Kopf auf. Grelle, schreckliche Erinnerungen an Schmerz, Angst, Verzweiflung, wilde, schluchzende Schreie. Eine heisere Stimme flehte, bettelte um Gnade. Ihre Stimme. Allein ihre. Eden rollte sich ganz klein zusammen, bedeckte den Kopf mit den Armen und ließ zu, dass alles auf sie einprasselte, sie erdrückte und zerstörte.
Messer schnitten sie, Fäuste brachen ihre Knochen. In einem dumpfen Winkel ihres Verstandes fühlte sie die schmerzenden Übergriffe … vernahm das höhnische Gelächter, die fiesen Grunzlaute, die widerlichen Worte …
Dann folgte süße, heilsame Leere.
Noah
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