Rescue me - Niemand wird dich schützen
und ihnen ins Gesicht zu lügen, war kein Problem. So vielen Augen zu entkommen indes, könnte sehr wohl zu einem werden.
»Claire, meine Liebe, darf ich dir meinen Vater vorstellen?«
Eden, die gerade mit einer von Georges’ Schwestern über neueste Modetrends geplaudert hatte, blickte in blassblaue
Augen auf. Mittelgroß, mit einem eindrucksvollen Schmerbauch und schütterem blonden Haar, entsprach Alfred Larue dem Bild des normalen Geschäftsmannes und Großvaters. Verwundert stellte Eden fest, dass er sie warmherzig und freundlich betrachtete.
»Madame Marchand.« Alfred nahm Edens Hand und küsste sie mit lässiger Eleganz. »Es freut mich, Sie kennenzulernen. Unser Georges ist vollkommen hingerissen von Ihnen, und ich sehe jetzt, warum das so ist. Sie sind mehr als entzückend.«
Eden nahm sein Kompliment mit einem strahlenden Lächeln entgegen. »Die Freude ist ganz meinerseits, Monsieur Larue. Und bitte, nennen Sie mich Claire.«
»Sehr gern. Und Sie müssen Alfred zu mir sagen.« Er lächelte seinem Sohn zu. »Sie ist genauso charmant und wunderschön, wie du gesagt hast, Georges.«
»Ich wusste, dass du mir zustimmst, Papa.«
Alfred drehte sich um und blickte zu seiner Frau. Eden bemerkte, wie die beiden sich stumm verständigten, und spürte eine vertraute Anspannung. Hier ging irgendetwas vor, und es hatte mit ihr zu tun. Hatten sie ihre Identität gelüftet? War sie im Begriff, die Liste der Larue-Opfer zu verlängern? Sie straffte die Schultern. Ganz sicher nicht!
»Komm mit, Liebes. Ich glaube, meine Mutter und mein Vater wollen dich besser kennenlernen.«
Ihr Adrenalinspiegel stieg, und obwohl sie äußerlich völlig ruhig, freundlich und entspannt blieb, schaute sie sich unauffällig nach Fluchtmöglichkeiten um. Gar nicht gut. Es gab zwei Ausgänge. Die Terrassentür wurde von zwei massigen Schlägern blockiert, deren Dinner-Jacketts die Wölbungen ihrer Waffen nur schlecht verbargen, und der andere Ausgang war der, durch den sie mit Georges,
seinen Eltern und zwei weiteren Gorillas ging. Mit zweien von ihnen wurde sie vielleicht fertig, möglicherweise auch mit dreien. Falls sie allerdings auf sie schossen, hatte sie kaum eine Chance. Ihr silbernes Cocktailkleid war natürlich nicht kugelsicher.
Georges geleitete sie durch einen Türbogen aus massiver Eiche in ein kleines Zimmer mit bequem aussehenden Möbeln und einem kleinen Kamin, in dem ein gemütliches Feuer knisterte. Alfred und Inez gingen auf eines der Sofas zu, während Georges sie zu dem gegenüber führte, auf das sie sich setzten. Die beiden Gorillas kamen nicht mit hinein, sondern blieben mit versteinerten Mienen zurück und schlossen die Tür von außen. Zweifellos würden sie vor der Tür Wache halten. Um andere draußen zu lassen oder damit Eden drinnen blieb? Das würde sie bald wissen.
»Erzählen Sie uns von sich, Claire«, forderte Inez Larue sie freundlich auf.
Jetzt begriff Eden, und ihr wurde nicht unbedingt wohler. Diese Leute verdächtigten sie keineswegs, das jüngste Opfer ihres Sohnes befreien und ihre ganze Organisation zu Fall bringen zu wollen. Sie waren besorgte Eltern, die mehr über die Frau wissen wollten, in die ihr Sohn verliebt war. Andere Familienmitglieder mochten sie angesehen haben, als wäre sie nur eine von Georges’ vielen Bettgespielinnen, aber offenbar glaubten seine Eltern das nicht. Hatte Eden Georges’ Gefühle unterschätzt? War er tatsächlich ernsthaft in sie verliebt, ohne dass sie die Zeichen erkannt hatte?
Ehe sie antwortete, wandte sie sich mit einem reizend hilflosen Gesichtsausdruck zu Georges. Das glühende Verlangen in seinem Blick war unmissverständlich. Nein, er war nicht verliebt, sondern scharf auf sie, was ein gewaltiger
Unterschied war. Doch würden seine Eltern ihn wahrnehmen?
Alfred musterte die junge Frau, von der Georges behauptete, dass er ohne sie nicht leben könnte. Sie war wunderschön, wie er nicht anders erwartet hatte. Der Frauengeschmack seines Jüngsten war so vorhersehbar wie der nächste Sonnenaufgang. Womit er nicht gerechnet hatte, war die Charakterstärke, die er in ihrem Blick wahrnahm. Diese Frau war anders als alle anderen, die Georges bisher mit nach Hause gebracht hatte. Nachdem sie sich ihre Antworten auf Inez’ Fragen angehört hatten, würden sie entscheiden, ob sie in die Familie aufgenommen würde oder nicht.
In einer sanften, angenehm melodischen Stimme sagte sie: »Ich bin außerhalb von Marseille aufgewachsen. Mein Vater starb,
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