Reseph
stimmt da nicht. Hat es mit den Reitern zu tun?«
»Nein, es hat nichts mit ihnen zu tun.« Sie schnaubte. »Was heißt, dass du kein Recht hast, mich auszufragen.«
Das saphirblaue Glitzern in Reavers Augen verhärtete sich zu kristallenen Scherben. »Du hast mir schon vieles angetan, wozu du kein Recht hattest, also solltest du dir lieber überlegen, was du sagst.«
Sie breitete die Flügel aus und ließ deren empfindliche Spitzen von der Brise zerzausen. Dies würde das letzte Mal sein, dass sie den Wind auf ihrer Haut, in ihrem Haar spürte. Dies würde das letzte Mal sein, dass die Sonne ihren Körper berührte. Das dunkle Vibrieren, das sie in den letzten paar Tagen in ihrer Seele gespürt hatte, wurde stärker, drängender. Sie musste gehen. Die Bestrafung war immer schlimmer, wenn jemand ausgesandt werden musste, um einen zurückzuschleppen.
Sie atmete noch einmal ein, speicherte all die Düfte in ihrer Erinnerung ab, einschließlich des würzigen Dufts, der ausschließlich Reaver eigen war. Sie musterte ihn, fragte sich, ob sie Zeit hatte, den Tag der Lust einzufordern, den er ihr schuldete. Was für eine perfekte Art zu gehen – mit einem Knall.
Das Vibrieren in ihr wurde immer eindringlicher, als ob jemand aufs Gaspedal getreten wäre und den Motor dermaßen beschleunigt hätte, dass er nicht mehr lange durchhalten würde.
So viel zum Abschiedssex.
»Kümmre dich um sie, Reaver. Sorg dafür, dass ihre Kinder in Sicherheit sind.« Sie wünschte, sie hätte Logan nur ein einziges Mal halten dürfen. Ja, es war dumm von ihr, ausgerechnet jetzt zuzulassen, dass Sentimentalität sie schwächte, wo sie härter denn je sein musste, aber es war so unfair, dass dieser kleine Junge nur ihretwegen existierte und sie ihn nicht einmal einen Moment lang in den Armen wiegen durfte.
Andererseits hatte sie alles erreicht, was sie sich vorgenommen hatte. Ab sofort lag es nicht mehr in ihrer Hand, was geschehen würde.
Sie entfachte die Energie, die nötig war, um sich nach Sheoul zu blitzen, doch in dem Sekundenbruchteil, der nötig war, um die Verbindung zu öffnen, packte Reaver sie erneut.
»Stopp!« Er baute sich direkt vor ihr auf, den Unterkiefer in störrischer Entschlossenheit vorgeschoben. Er war immer schon überwältigend in seinem Zorn gewesen. »Wenn du mir sagst, was los ist –«
»Was? Wirst du mir helfen?« Sie schubste ihn, vielleicht nicht mit so viel Kraft, wie es ihr möglich gewesen wäre, aber genug, dass er rückwärts taumelte. »Als ob ich das glauben würde. Und selbst wenn, ich brauche deine Hilfe nicht.«
Reaver warf die Hände in die Luft. »Ich geb’s auf. Geh und sei irgendwo anders verbittert.« Er machte auf dem Absatz kehrt und marschierte zum Haus zurück.
Die Brise nahm erneut zu, genau wie die dunkle Vibration, diesmal so sehr, dass sie Harvester lähmte. Nein, nein …
nein
.
Als sie herumfuhr, sah sie sich zwei gewaltigen Engelgothen gegenüber – gefallene Engel, die zu skelettartigen Ungeheuern mutiert waren. Sie waren einmal wie Harvester gewesen … bis sie etwas getan hatten, wofür sie mit ewiger Abscheulichkeit, Sklaverei und Qual bestraft worden waren.
Harvester könnte sich glücklich schätzen, wenn sie lediglich deren Schicksal teilte. Ihr eigenes würde noch sehr viel schlimmer ausfallen.
»Ich wollte ja gerade los«, sagte sie, aber sie gestatteten ihr nicht, sich zu blitzen. Einer von ihnen versenkte seine klauenbewehrten Hände in ihren Schädel, sodass sie wie ein Fisch am Haken hing. Schmerz und Blut explodierten; sie hörte nichts mehr als ihre eigenen Schreie und das Knirschen von Knochen.
Dann wurde sie am Kopf emporgehoben und in die dunkelsten Tiefen der Hölle geblitzt.
Direkt in Satans Wohnzimmer.
Eine unbeschreibliche Welle des Schreckens zerfetzte ihre Innereien, als sich der König aller Dämonen langsam von seinem Knochenthron erhob und sich seine gewaltigen Flügel bis hinauf zur zehn Meter hohen Decke entfalteten. Durch seine üppige Mähne schwarzer Haare schoben sich zwei rasiermesserscharfe Hörner, die herumwirbelten wie winzige Satellitenschüsseln. Als seine klauenartigen Fingernägel über die Lehne kratzten, ergoss sich eine weitere Welle panischer Angst über Harvesters Haut.
»Harvester.« Seine Stimme war kalt wie eine uralte Leiche.
Harvester zitterte so heftig, dass ihre Zähne klapperten, als sie sich tief vor ihm verbeugte. »Hallo, Vater.«
Harvesters Schreie gellten immer noch in Reavers Ohren, als er den
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