Reseph
dient. Also ist er entweder tot oder aber ein Gefallener und hat einen neuen Namen angenommen. Wie lautet dieser?«
»Ich habe keine Ahnung. Warum sollte es mich kümmern, was aus ihm geworden ist?«
»Vielleicht weil er dich geschwängert hat?«
Sie schnaubte. »Na und?«
»Was hat er gesagt, als du ihm erzählt hast, dass er Vater werden würde?«
Das war eine Frage, die zu stellen ihm nie zuvor eingefallen war, weil ihm der Mann, der ihn gezeugt hatte, in Wahrheit scheißegal gewesen war. Denn wenn er sich für ihn interessiert hätte, hätte er sich möglicherweise mit allerhand unangenehmen Dingen auseinandersetzen müssen, und Reseph war stets jeder Auseinandersetzung aus dem Weg gegangen. Doch seine Zeit als Pestilence und seine Beziehung zu Jillian hatten ihn gelehrt, die Familie mit anderen Augen zu sehen.
»Wen zur Hölle interessiert das? Ich habe euch sowieso alle vor ihm versteckt.«
»Uns versteckt? Du hast uns abgeschoben«, knurrte er.
»Bis auf Limos.« Sie stieß einen dramatischen Seufzer aus. »Und was für eine Enttäuschung sie geworden ist.«
Eine Welle des Hasses erschütterte Reseph, doch er zwang sich, diesem Gefühl nicht nachzugeben. Noch nicht. »Dann weißt du also nichts über unseren Vater.«
»Was spielt das für eine Rolle? Wenn er euch gewollt hätte, hätte er sich gemeldet, und wenn er tot ist, ist er … tot.«
»Wir glauben nicht, dass er tot ist. Es gibt Hinweise darauf, dass er derjenige sein wird, der unsere Siegel in der biblischen Version der Apokalypse brechen wird.«
Liliths Augenbrauen schossen in die Höhe. »Tatsächlich.« Sie ging zu einem Gemälde, das sie selbst angefertigt hatte, eine grauenhafte Darstellung einer Orgie, und schob es beiseite, sodass eine Vertiefung in der Wand sichtbar wurde. Sie griff hinein und zog ein Pergament heraus. »Ich habe dieses Bild von Yenrieth gezeichnet, damit ich kein einziges Detail vergesse. Er war so wunderschön. Ein perfektes Exemplar, das es wahrhaftig wert war, gezeichnet zu werden.«
Er entriss es ihr und wich ihr gleich darauf aus, als sie versuchte, sich an ihm zu reiben. Seine eigene Mutter! Widerlich. Er wandte sich ab und blickte auf die Zeichnung. Im nächsten Moment kamen all seine Körperfunktionen zu einem brutalen Stillstand. Ihm blieb der Atem weg, sein Herz verkrampfte sich, und seine Synapsen hörten auf, Informationen zu übertragen. Heilige Hölle.
»Das ist doch nicht möglich.« Seine Stimme zitterte und klang heiser.
Lilith nahm einen Dolch mit gezackter Klinge von der Wand, den, mit dem sie vorzugsweise Genitalverstümmelungen vornahm. »Er trägt dasselbe flügelartige Mal auf seinem Innenschenkel wie du. Überprüfe es selbst, solltest du ihn je finden können.«
Er blickte in sein Gesicht im Spiegel hinter Liliths Bett. Gott, die Ähnlichkeit war da, klar wie der helle Tag. »Warum hast du uns weggegeben?« Er richtete den Blick wieder auf seine Mutter, ohne Pestilence’ gieriges Knurren zu beachten. »Warum hast du mich bei einer Frau gelassen, die mehr Zeit darauf verwandte, ihr Haar zu bürsten, als auf mich?«
Es war dumm, Lilith so etwas zu fragen, und er war nicht sicher, warum er sich überhaupt die Mühe machte. Diese Scheiße hatte sich vor fünftausend Jahren ereignet, und nichts davon spielte jetzt noch eine Rolle.
»Ich habe euch fortgegeben, um euer Überleben zu sichern. Ich wusste, dass ihr eines Tages einmal sehr mächtig sein würdet, auch wenn ich nicht hätte vorhersehen können, wie mächtig.« Sie fuhr mit der Klinge über ihre Handfläche und betrachtete die nasse, leuchtend rote Spur, die aus dem Schnitt hervorquoll. »Und was diesen Menschen betrifft, der dich aufgezogen hat?« Lilith zuckte die Achseln. »Sie hat dich ernährt und gekleidet. Also hör auf zu jammern, du undankbares Balg.«
»Ernährt und gekleidet? Sie hat mich tagelang allein gelassen, während sie sich Gott weiß wo herumgetrieben hat. Ich wäre um ein Haar im Feuer umgekommen, weil sie mich wieder mal mir selbst überlassen hatte. Offensichtlich ist dein Adoptionsprüfverfahren dringend verbesserungsbedürftig.«
Sie lachte, ein gackernder, greller Laut, bei dem er die Zähne zusammenbiss. »Ich verachte dich, Reseph. Ich freue mich schon darauf, Pestilence wiederzusehen.«
Reseph stürzte sich auf sie, rammte sie gegen die Wand, den Unterarm auf ihre Kehle gedrückt. »Was weißt du über Gethels Pläne, ihn zu befreien?«
»Gar nichts.«
Reseph verstärkte den Druck auf ihren Hals.
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