Reseph
überraschte sie. »Denkst du, ich brauche vor irgendetwas Schutz?« Zum Beispiel vor dem, wonach er auf der Veranda Ausschau gehalten hatte, was auch immer es war. »Meinst du, ich komme nicht allein klar?«
»Oh, nein, ganz und gar nicht. Ich hab dich mit dem Gewehr gesehen.« Als er zu ihr hinübersah, rutschte seine Stimme noch ein bisschen tiefer. »Das war verdammt heiß. Ich liebe knallharte Frauen.«
Sie lachte. »Und ich liebe es, für knallhart gehalten zu werden.« Sie betrachtete ihn neugierig, während er sich eine riesige Ladung Eier in den Mund schob. »Warum sollte ich nicht allein sein?«
»Weil du ein guter Mensch bist. Das solltest du mit Leuten teilen, die jemanden wie dich in ihrem Leben nötig haben.« Er griff nach seinem Glas Saft. »Wie mir. Vielen Dank noch mal für alles.«
»Gern geschehen.« Ihr Puls beschleunigte sich, sowohl wegen des Kompliments als auch aufgrund ihres schlechten Gewissens. Heute Morgen war die Straße geräumt worden, und sie spielte mit dem Gedanken, ihn zum Sheriff zu bringen. Warum sie sich deswegen schuldig fühlen sollte, wusste sie allerdings nicht. Vielleicht, weil ein guter Mensch ihn behalten würde.
Ihn behalten … als ob er ein streunender Hund wäre. Nett. Wenn er ein streunender Hund wäre,
würde
sie ihn behalten. Aber er brauchte Hilfe, die sie ihm nicht geben konnte.
Und sie konnte es sich nicht leisten, Gefühle für ihn zu entwickeln.
Eine Minute lang aßen sie schweigend weiter. In dieser Zeit verputzte er sechs Pfannkuchen, genauso viele Eier und ein halbes Pfund Schinken. Schließlich tauchte er auf, um nach Luft zu schnappen.
»Kann ich mal deinen Computer benutzen?«, fragte er. »Ich will mal sehen, ob ich irgendwas finden kann, das mir vielleicht hilft rauszufinden, wer ich bin.«
Ihr Pfannkuchen lag wie ein Stein in ihrem Magen. »Also, um die Wahrheit zu sagen, ich fahre heute mit dir in die Stadt. Ich hoffe, dass die Polizei uns helfen kann. Zuerst brauchst du aber ordentliche Klamotten, darum werden wir uns mal in
Bernard’s Department Store
umsehen.«
»Ich verspreche dir, alles zurückzuzahlen, wenn ich erst wieder weiß, wer ich bin.« Er wirkte satt und zufrieden, als er sich in seinem Stuhl zurücklehnte. Aber nicht weniger gefährlich. Wie ein Tiger, der gerade gefressen hat. »Ich muss schließlich irgendwo Geld haben.«
»Mach dir deswegen bloß keine Sorgen.« Sie stand auf. »Jetzt kümmere ich mich erst mal um die Tiere. Danach fahren wir. Du kannst duschen, wenn du magst.«
Als sie den Muskel an seinem Kiefer zucken sah, bereitete sie sich innerlich auf eine anzügliche Bemerkung vor.
»Aber dafür helfe ich dir dann heute Abend bei der Arbeit, okay?«
Scheiße. Sie hätte eine seiner unverhohlen sexuellen Anspielungen vorgezogen. Sie schenkte ihm ein zittriges Lächeln, weil sie sich nicht sicher war, ob er überhaupt wieder mit ihr zurückkommen würde. Er gehörte nicht hierher, und es gab eine absolut akzeptable Unterkunft in der Stadt, wo er bleiben konnte, bis die Polizei herausbekam, wer er war.
Sie kümmerte sich um die Tiere in Scheune und Hühnerstall. Als sie schließlich ein Dutzend Eier eingesammelt hatte, die sie bei den Wilsons unten an der Straße abgeben würde, und ihr Truck Betriebstemperatur hatte, war auch Reseph fertig. Sie wünschte, sie hätte Schuhe für ihn, aber es schien ihm nichts auszumachen. Er sprang einfach auf den Beifahrersitz ihres Pick-ups und spielte mit dem Radio, bis er sich schließlich für einen Country-Sender entschied, während sie die knapp fünfzig Kilometer in die Stadt fuhr.
»Ich weiß nicht, warum«, sagte sie, »aber ich hatte dich eher für den Rock-’n’-Roll-Typ gehalten.«
»Anscheinend ist mein Kopf voller Country-Songs. Rock eher weniger.« Er klopfte zum Takt der Musik mit den Fingern auf seine Schenkel und musterte die Landschaft, als ob er sich jeden Baum und jeden Zaunpfahl einprägen wollte.
»Ihr wisst echt, wie man so ’ne Stadt rausputzt«, sagte Reseph, als sie mit dem Truck auf die Main Street einbog. »Ich komm mir vor wie am Nordpol.« Er drehte sich um, sodass er mit dem Rücken gegen die Tür gelehnt dasaß, ein Bein auf der Lehne zwischen ihnen, als ob er eingezogen wäre und genau dorthin, auf den Platz neben ihr, gehörte. Verdammt, das waren genau die Gedanken, die sie nicht denken durfte. »Du brauchst auch ein bisschen Weihnachtsschmuck in deinem Haus. Und einen Baum.«
Vorsichtig lenkte sie den Wagen um eine vereiste Kurve.
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