Reseph
hielt den Atem an. Von allen Fotos war dies das drastischste; es zeigte ein Muster der Klauenspuren auf dem Torso einer Frau.
Das Foto zeigte nur ihren Torso, da Arme, Beine und Kopf fehlten.
Jillian schlug sich die Hand vor den Mund und rannte zur Tür. Er rannte ihr hinterher und fand sie hinter der Hausecke an einem Holzstapel, wo sie verzweifelt darum kämpfte, sich nicht zu übergeben.
Die Hilflosigkeit ballte sich zu einem Klumpen in seinem Magen zusammen, also tat er das Einzige, was er tun konnte: Er rieb ihr den Rücken in kleinen zärtlichen Kreisen über ihrem Parka. »Tut mir leid. Hast du diese Leute gut gekannt?«
Sie schüttelte den Kopf. »Sie waren erst seit ein paar Monaten hier. Ehrlich gesagt waren es ziemliche Idioten. Er hat eine meiner Ziegen erschossen, weil sie sein Grundstück betreten hat, und seiner Frau war alles egal. Aber das … das hätte ich ihnen nicht gewünscht.« Sie erschauerte. »Das war kein wildes Tier, Reseph. Das wissen wir beide.«
Sein Herzschlag setzte beinahe aus, und sogar in dieser Kälte begannen seine Hände zu schwitzen. »Weißt du, was es war?«
»Ja.« Ihre grünen Augen bohrten sich in seine. Mit bebenden Händen öffnete sie den Reißverschluss ihrer Jacke und hob ihr Sweatshirt an.
Auf ihrem Bauch befanden sich Narben. Narben, die ihre Haut in genau demselben Muster zeichneten wie die Klauenspuren auf der toten Frau.
10
»Was ist passiert?« Resephs Stimme war leise und tödlich, und diesmal wusste Jillian, dass sie nicht einfach so davonkommen würde, indem sie ihn ablenkte oder ihm sagte, sie wolle nicht darüber reden.
»Ich werde es dir erzählen.« Sie blickte sich um und erschauerte. »Aber zuerst will ich nach Hause. Dieser Ort macht mir Angst.«
Reseph nickte entschlossen und marschierte auf das Schneemobil los. »Ich fahre. Du siehst aus, als ob du jeden Moment umkippst.«
»Weißt du denn überhaupt, wie man damit umgeht?«
»Seltsamerweise ja. Ich kann auch ein Auto fahren. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass ich mit einer Pferdekutsche ebenfalls prima klarkomme.« Er sprang auf und streckte ihr die Hand hin. Sie ergriff sie, nahm Platz, sodass ihr Körper dicht an seinen geschmiegt war, und legte ihm die Arme fest um die Taille. »Tiefer.«
»Was?«
»Du sollst die Hände tiefer legen.«
Sie atmete den warmen erdigen Duft seiner seidigen Haare ein und gehorchte, nur um ihm gleich darauf gegen die Schulter zu boxen. »Du hast wirklich immer nur das Eine im Sinn.«
»Du kannst mir nicht vorwerfen, dass ich es versuche.« Er ließ den Motor an, und der Lärm machte es ihr unmöglich, sich mit einer schlagfertigen Antwort zu revanchieren. Was zweifellos der Grund für das überaus vorteilhafte Timing war.
Er gab Gas und drehte auf dem kreisförmigen Hof vor dem Haus. Als sie auf die lange, gewundene Auffahrt bogen, blitzten zwischen den Bäumen Scheinwerfer auf, die sich ihnen näherten. Reseph hielt an.
»Wer ist das?«
Sie schloss die Arme noch fester um ihn. »Könnte die Polizei sein. Oder die Sonderermittler.«
»Was sind die überhaupt?«
»Dämonenjäger.« Sie hatte noch nie welche gesehen, aber in den Nachrichten war dauernd von ihnen die Rede.
Reseph war ganz starr; die Muskeln in seinem Rücken fühlten sich an ihrer Brust wie Zement an. »Gibt es noch einen anderen Weg zu deinem Haus?«
»Warum?«
»Ich weiß auch nicht. Ich hab nur irgendwie ein schlechtes Gefühl.«
»Ihretwegen?«
»Nein«, sagte er rau. »Meinetwegen.« Sein ganzer Körper schien sogar noch starrer zu werden, als das Fahrzeug näher kam. »Ich kann’s nicht erklären. Wir müssen einfach nur weg hier.«
Sie fühlte Unruhe in sich aufsteigen, aber bisher hatte Reseph sie noch nie falsch beraten. Sie zeigte auf eine Baumgruppe. »Da lang. Da gibt’s eine Wiese, die wir zur Not überqueren können.«
Reseph verschwendete keine Zeit. Er gab kräftig Gas und raste durch den Wald. Jillian klammerte sich verzweifelt an ihn, auch wenn sie zugeben musste, dass er das Schneemobil fuhr, als ob er seit Jahren nichts anderes getan hätte.
»Du bist gut«, schrie sie ihm ins Ohr.
»Ich weiß.«
»Arroganter Arsch«, murmelte sie. Sie hätte wetten können, ihn daraufhin leise lachen zu hören.
Er raste über die Wiese, wobei er sich aber immer in der Nähe der Bäume hielt, als ob er nicht auf freiem Feld erwischt werden wollte. Vor ihnen setzte ein Hirsch über einen Baumstamm und lief in den Wald, wo er sich umdrehte und sie ansah, wie sie
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