Reseph

wusste, musste sich zwingen, den Blick abzuwenden, ehe sein Körper begann, auf Harvester so zu reagieren, wie in dem Moment, als sie sich in Sheoul-gra geküsst hatten.
    »Wie geht es meinen allerliebsten Reitern denn heute?«, zwitscherte sie, ganz Sonnenschein und Regenbögen. Da stimmte doch etwas nicht. Sie war niemals fröhlich oder gut gelaunt.
    »Wir warten darauf, dass Reaver uns erzählt, was mit Gethel passiert ist«, antwortete Than.
    Als Reaver diesmal ein Stöhnen unterdrückte, lag es daran, dass er fest damit rechnete, dass Harvester alles ausplaudern würde; aber Reaver war noch nicht bereit, ihnen mitzuteilen, was er mit Reseph getan hatte. Wenn es ihm gelang, Gethel zu vernichten, ehe sie Reseph fand, könnte Reaver vielleicht zumindest noch Teile seines ursprünglichen Planes in die Tat umsetzen und den Reiter in der Sicherheit des menschlichen Reiches belassen, während sein Geist heilte. Aber wenn Gethel irgendjemandem verraten hatte, dass Reseph frei war, war der Plan möglicherweise sowieso schon im Arsch.
    »Gethel und ich haben gekämpft, aber dann füllte sich die Kammer mit Dämonen, und sie konnte entkommen.«
    »Und wo bist du seitdem gewesen?« Thans Frage war keine Herausforderung. Dafür lag in seiner Stimme zu großer Schmerz.
    »Ich saß in Sheoul in der Falle.« Das war keine Lüge, auch wenn es nicht die vollständige Wahrheit war.
    »Wie kam das?« Limos’ veilchenblaue Augen blitzten auf.
    Scheiße. Jetzt musste Reaver entweder lügen oder aber auf seine Autorität pochen und ihnen sagen, dass er gemäß dem Gesetz der Wachen nicht verpflichtet war, ihre Fragen zu beantworten. Begeisterungsstürme würde er mit so einer Antwort allerdings nicht auslösen.
    »Das war meine Schuld«, platzte Harvester zu Reavers größtem Erstaunen heraus. »Ich war sauer, dass mein Team mal wieder einen Tritt in den Arsch bekommen hatte, also hab ich ihn ein Weilchen in Pestilence’ Kammer eingesperrt.« Sie zuckte mit den Achseln. »Zur Abwechslung ein Verstoß gegen die Regeln. Aber was soll’s. Das war’s wert.«
    Limos knurrte. »Du bist echt ein Miststück.«
    »Hey!« Reaver versuchte das Gespräch von unerklärlichen Flunkereien und unverdienten Beleidigungen fortzusteuern. Harvester war sicherlich ein Miststück, aber in diesem Fall traf es ausnahmsweise mal nicht zu. »Ist das hier eine Party? Weil mir bisher noch niemand ein Hotdog angeboten hat.« Er beäugte das kleine blonde, sich windende Bündel. »Und es hat mich auch noch keiner diesem bezaubernden Kind vorgestellt.«
    Damit war Harvesters
Vergehen
vergessen. Limos sprang zur Kühlbox, während Ares zum Grill zurückging. Than und Regan, die stolzen Eltern, hielten ihm mit einem breiten Grinsen das Baby hin. »Reaver, das ist Logan Thanatos.«
    Ganz sanft strich Reaver dem Baby mit einem Finger über die samtige Wange. »Schön, dich kennenzulernen, Logan.«
    »Du kannst ihn gerne mal halten«, sagte Than, doch Reaver trat einen Schritt zurück. Er hatte schon viele Babys gehalten, hatte sogar ein paar auf die Welt gebracht, als er noch im Underworld General gearbeitet hatte, aber aus irgendeinem Grund versetzte ihn die Vorstellung, dieses spezielle Kind in den Armen zu halten, in Angst.
    »Ich sollte lieber nicht –«
    »Aber sicher solltest du.« Regan nahm Than das Kind ab und drückte ihn Reaver behutsam an die Brust, sodass dieser gar keine andere Wahl hatte, als Logan an sich zu nehmen.
    In dem Moment, in dem das Baby ihm in die Augen sah, schmolz Reaver dahin. Ein warmes Gefühl tanzte in seinem Herzen. In diesem Moment erkannte er, wieso er gezögert hatte, Logan auf den Arm zu nehmen. Das Baby erinnerte ihn daran, dass ihm ein großer Teil seines Lebens fehlte … Ein Teil, in dem möglicherweise auch Kinder vorkamen.
    Hatte er Kinder? Hatte man ihnen auch das Gedächtnis ausgelöscht, so wie ihm? Ihm war niemals eine Audienz bei den Erzengeln gewährt worden, wo er danach hätte fragen können, aber vielleicht war es ja an der Zeit, die Bitten einzustellen und stattdessen mit Forderungen anzufangen.
    »Ich kann den Engel in ihm spüren«, sagte er leise. »Er ist mächtig, beinahe so intensiv, als ob er zur Hälfte Engel wäre, und nicht nur zu einem Viertel.«
    »Die Macht ist stark in diesem da«, sagte Thanatos in einer verdammt eindrucksvollen Darth-Vader-Stimme. Reaver wäre beinahe die Kinnlade runtergeklappt; Thanatos war sonst nie locker oder zu Späßen aufgelegt, und es tat gut, diese neue Seite an ihm zu