Resident Evil - Sammelband 02 - Der Umbrella-Faktor
Vernunft. Trotz der verkohlten, qualmenden Flecke, die den Großteil seines Körpers bedeckten, hatte sein widernatürliches Fleisch nichts von seiner Elastizität eingebüßt – das rötliche Material unter den Verbrennungen beugte und straffte sich wie echtes Muskelgewebe. Das Wesen sah aus wie ein gehäuteter Riese, der unter einem brennenden Gebäude hervorgekrochen war – und wenn es bei dem Bad in geschmolzenem Metall Schaden genommen hatte, so konnte Claire es nicht erkennen.
Ein weiterer, mächtiger Schritt, die Kreatur hob die Arme, das Gittertor wurde herausgerissen, und die Eisenstäbe krachten auf den Beton.
Wenigstens ist es langsam, immerhin etwas.
Es war das Einzige, was für sie zu Buche schlug. Claire eilte auf die U-Bahn-Tür zu, hatte immer noch Angst, aber das qualmende Ungeheuer war langsam, stark zwar, aber offenbar nicht imstande, sich wirklich geschmeidig zu bewegen –
– doch plötzlich ging Mr. X nicht mehr einfach nur, er beugte die Hüften, beugte die Knie –
– und stieß sich mit einem dynamischen Satz vom Boden ab, so kraftvoll, dass er dabei Furchen in den Beton riss. Deformierte Füße katapultierten das Wesen auf Claire zu, die noch in vollem Lauf war.
Ohne zu denken, wich Claire nach rechts aus und startete hinter dem geduckt springenden Ungeheuer durch, rannte so schnell sie nur konnte. Es erwischte sie dennoch beinahe, seine Reflexe waren schneller als schnell – als hätte der Verlust seiner Hülle es irgendwie befreit, als hätte das flüssige Metall es abgeschält bis auf den Kern seiner Kräfte.
Als Claire über das zerborstene Tor in die Schatten sprang, hörte sie das Kreischen, wie Finger, die nicht aus Fleisch waren, über den Beton scharrten. Sie sah, dass Mr. X einen seiner gewaltigen Arme hochgerissen hatte und dort ins Leere schlug, wo sie eine Sekunde zuvor noch gewesen war. Er hatte vor, sie aufzuschlitzen .
Aber warum? Ich habe kein G-Virus mehr, es besteht kein Grund –
Claire rannte tiefer in die hallende Finsternis, während die Bandstimme sie ruhig informierte, dass ihnen noch vier Minuten Zeit blieben.
„Noch vier Minuten bis zur Detonation … “
Scheiße scheiße scheiße!
Gerade als Leon dachte, der Frust würde ihm einen Schlaganfall bescheren, kam der Aufzug endlich zum Halten. Er riss am Griff einer dicken Metalltür, spannte seine Muskeln, um loszurennen –
– und die Tür öffnete sich in der Wand eines Ganges, eines sterilen Betonkorridors, der erhellt wurde von flackernden Deckenleuchten. Es gab keine Hinweise, die Leon verraten hätten, welchen Weg er nehmen sollte.
Links oder rechts?
Die paar Sekunden, die er zögerte, konnten ihn das Leben kosten – falls er überhaupt noch eine Chance hatte.
Er hatte einmal gehört, dass Menschen, wenn sie vor die Wahl gestellt werden, sich instinktiv für die Richtung entschieden, die ihrer dominierenden Hand entsprach. In Anbetracht des lausigen Glücks, das ihm in dieser langen, langen Nacht in Raccoon beschieden gewesen war, entschied er sich jedoch, die andere Richtung zu wählen.
Er war Rechtshänder – also links. Leon rannte los. Seine Stiefel hämmerten über den Boden, und er fragte sich, ob sich alle Mühe überhaupt noch lohnte.
Nicht weit hinter dem zerstörten Tor erkannte Claire einen Übergang, der über die Schienen hinwegführte. Die nach oben führende Treppe lag in tiefe Schatten gehüllt.
Claire hörte das Stampfen von Mr. X, als er ihr folgte, jeder seiner raumgreifenden Schritte ein brutaler Hieb mutierten Fleisches auf Zement. Das Entsetzen trieb sie voran, ihre Füße berührten kaum den Boden, es war ihr egal, ob sie in der tiefer werdenden Dunkelheit mit dem Gesicht voraus gegen eine Wand rennen würde. Vielleicht wäre das sogar am besten; ihr Verfolger war wahnsinnig stark, er war schnell, es war unmöglich, ihn zu töten – sie hatte keine Chance, wenn er sie erwischte.
Und die Schritte wurden lauter, schneller, Claire hörte das reißende Kratzen klauenbewehrter Pranken, die den Beton aufpflügten. Sie hatte vielleicht noch eine Sekunde, bis diese Klauen in ihr wühlen würden –
– und sie wich wieder nach rechts aus, warf sich in etwas wie ein dunkles Loch direkt neben der Treppe. Mr. X jagte vorbei, ein gigantischer, hochaufragender Schemen. Claire fühlte sogar den Windzug seiner sich bewegenden Hand über ihr Bein streichen, als sie auf den kalten Boden prallte.
Stechender Schmerz schoss durch ihren Arm, ihr Ellbogen war hart aufgeschlagen.
Weitere Kostenlose Bücher