Resident Evil - Sammelband 02 - Der Umbrella-Faktor
der Ecke ab, blickte zärtlich auf ihr engelhaftes Gesicht hinab. Plötzlich überkam ihn eine Woge fast väterlicher Liebe, und es überraschte ihn nicht, dass ihm Tränen in die Augen stiegen, Tränen des Stolzes und der Zuneigung. Seit Tagen schon war er Opfer solcher Gefühlsausbrüche – Wut, Entsetzen und auch Freude. Er war nie ein besonders emotionaler Mensch gewesen, doch er hatte gelernt, diese machtvollen Gefühle zu akzeptieren, sie sogar einigermaßen zu genießen; zumindest waren sie nicht allzu verwirrend. Es hatte auch Momente gegeben, in denen ihn eine Art seltsamer, schleichender Nebel überkam, eine gestaltlose Angst, die ihn jedes Mal zutiefst beunruhigt zurückließ … und verwirrt wie ein verlorenes Kind.
Schluss damit. Jetzt gibt es nichts mehr, was noch schiefgehen könnte – Beverly ist bei mir, und wenn ich erst meine Sachen geholt habe, können wir uns im Sanktuarium verstecken und uns etwas ausruhen. Sie braucht Zeit, um sich zu erholen, und ich kann … kann alles auf die Reihe bringen. Ja, das ist es: Die Dinge müssen auf die Reihe gebracht werden.
Irons blinzelte die bereits vergessenen Tränen fort, als der metallene Käfig in die Höhe fuhr, zog seine Waffe und warf den Clip aus, um nachzuzählen, wie viel Schuss noch übrig waren. Seine Privaträumlichkeiten waren sicher, aber das Büro war etwas anderes – er wollte vorbereitet sein.
Der Aufzug kam zum Halten, und Irons hielt die Tür mit einem Bein auf, bevor er das Mädchen vor Anstrengung ächzend hochhob. Er trug die Ohnmächtige wie ein schlafendes Kind. Ihr kühler, weicher Leib ruhte schlaff in seinen Armen, ihr Kopf rollte nach hinten und baumelte hin und her, während er lief. Er hatte sie ungeschickt aufgehoben, ihr weißes Kleid war hochgerutscht und entblößte die feste, cremige Haut ihrer Schenkel. Irons zwang sich wegzusehen und konzentrierte sich auf die Schalttafeln, mittels derer sich die Wand zu seinem Büro öffnen ließ. Was er bei anderen Gelegenheiten auch für harmlosen Fantasien nachgehangen haben mochte, jetzt war er für sie verantwortlich – er war ihr Beschützer, ihr Ritter in glänzender Rüstung …
Den vorstehenden Knopf konnte er mit dem Knie drücken. Die Wand glitt auf und gab den Blick frei auf sein nobel ausstaffiertes und – dem Himmel sei Dank – leeres Büro; nur die stumpfen, gläsernen Blicke seiner Tiertrophäen begrüßten ihn.
Der massive Schreibtisch aus Walnussholz, den er aus Italien importiert hatte, stand direkt vor ihm. Seine Kräfte ließen nach. Beverly war eine zierliche Frau, aber er war nicht mehr so in Form wie früher. Schnell legte er sie auf den Schreibtisch, wobei er mit dem Ellbogen einen Becher mit Stiften zu Boden stieß.
„So!“ Er atmete tief aus und lächelte auf sie hinab. Sie lächelte nicht zurück, aber er spürte, dass sie bald aufwachen würde. Er fasste unter den Schreibtisch und drückte den Knopf für die Wandsteuerung. Hinter ihnen glitt das Paneel zu.
Als er sie gefunden hatte, schlafend neben Officer Scott, hatte er zunächst eine tiefe Sorge in sich gefühlt: George Scott war tot gewesen, über und über mit Wunden bedeckt, und angesichts des roten Fleckes auf Beverlys Bauch hatte Irons schon befürchtet, sie sei ebenfalls nicht mehr am Leben. Doch während er sie zum Sanktuarium geschleppt hatte, in seinen sicheren Hort, hatte sie ihm etwas zugeflüstert – dass es ihr nicht gut gehe, dass sie verletzt sei, dass sie nach Hause wolle …
… wirklich? Hat sie das wirklich getan?
Irons runzelte die Stirn. Etwas befreite ihn aus dieser unsicheren Erinnerung … etwas, das er gefühlt hatte, als er sie auf seinem Hobbytisch abgelegt und ihr blutbeflecktes Kleid glattgezogen hatte, etwas, an das er sich nicht recht entsinnen konnte. Es war ihm zu dem Zeitpunkt nicht wichtig erschienen, jetzt aber, außerhalb der behaglichen Umgebung des Sanktuariums, nagte es in ihm. Erinnerte ihn daran, dass ihn diese Verwirrung überkommen hatte, als er, als er –
– als ich das kalte, gummiartige Gelee von Eingeweiden unter meinen Fingern spürte –
– er sie berührt hatte.
„Beverly?“, flüsterte er und setzte sich hinter seinen Schreibtisch, als ihm plötzlich die Beine schwach wurden. Beverly bewahrte ihr Schweigen – und eine wilde Flut von Gefühlen traf Irons wie eine Sturmwelle, schlug über ihm zusammen, überspülte sein Denken mit Bildern, Erinnerungen und Wahrheiten, die er nicht akzeptieren wollte.
Das Durchtrennen der
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