Resident Evil - Sammelband 03 - Im Netz der Verraeter
hatte, was sie zu sehen glaubte – einen hageren, blonden Mann mit einem Gewehr mit Laserzielvorrichtung, bekleidet mit etwas, das wie die Ausgehuniform eines Jachtklubs aussah, dunkelrotes Jackett, mit bauschiger weißer Krawatte und goldenen Tressen. Wie die Vorstellung eines Kindes von dem, was eine Respektsperson tragen sollte.
„Mein Name ist Alfred Ashford!“, rief eine gepresste, versnobte Stimme. „Ich bin der Kommandant dieses Stützpunkts – und ich verlange, dass Sie mir sagen, für wen Sie arbeiten!“
Was? Claire wünschte, dass ihr eine intelligente Erwiderung eingefallen wäre, irgendetwas Cooles, aber es blieb dabei.
„Was?“, fragte sie also laut.
„Oh, Ihre vorgetäuschte Unwissenheit nützt Ihnen gar nichts“, fuhr der andere fort, und seine höhnische Stimme verlagerte sich etwas, als steige er die Treppe herunter. „Miss Claire Redfield. Ich weiß, was Sie vorhatten, ich wusste es von Anfang an – aber Sie haben es nicht mit irgendwem zu tun, Claire, sondern mit einem Ashford.“
Er kicherte jetzt sogar, ein hohes, mädchenhaftes Kichern, und plötzlich war sich Claire hundertprozentig sicher, dass er völlig meschugge war, sie sprach mit einem Irren.
Ja, und sprich weiter mit ihm, damit du weißt, wo er gerade ist. Sie konnte das winzige rote Leuchtpünktchen über die Wand hinter ihr huschen sehen, als er versuchte, die Säule im Visier zu behalten.
„Okay, äh, Alfred. Was hab ich denn vor?“ So leise wie möglich überprüfte sie ihre Halbautomatik, um sicher zu gehen, dass sich eine Kugel im Lauf befand.
Es war, als hätte sie nichts gesagt. „Unser Vermächtnis von Weisheit, Überlegenheit und Innovation ist über alle Zweifel erhaben“, erklärte Alfred hochmütig. „Wir können unsere Ahnenreihe bis in europäische Königshäuser zurückverfolgen, meine Schwester und ich, und bis hin zu einigen der größten Geister der Geschichte. Aber ich gehe nicht davon aus, dass Ihre Herren Ihnen das erzählt haben, nicht wahr?“
Meine Herren? „Ich hab keine Ahnung, wovon Sie reden“, rief Claire. Sie behielt den flackernden roten Punkt im Auge und entschied, dass sie von der anderen Seite der Säule aus einen kurzen Blick riskieren konnte – und vielleicht schaffte sie es ja, einen Schuss anzubringen, bevor er sie aufs Korn nehmen konnte. Je länger Alfred sprach, desto mehr hatte sie das Gefühl, dass es keine gute Idee sei, ihm von Angesicht zu Angesicht gegenüberzutreten. Hochgradig geisteskranke Menschen waren unberechenbar, milde ausgedrückt.
Er hatte eine Schwester erwähnt … waren er und sie die Kinder aus diesem Film mit der Libelle? Sie hatte keinen Beweis dafür, aber ihr Instinkt bejahte dies heftig. Es schien, als sei er seitdem auf Kurs geblieben, vom unheimlichen Kind hin zum unheimlichen Kerl.
„Wenn Sie natürlich bereit wären, sich jetzt zu ergeben“, säuselte Alfred, „könnte ich mich dazu überreden lassen, Ihr Leben zu verschonen. Vorausgesetzt, Sie bekennen sich des Verrats an Ihren Vorgesetzten schuldig … “
Jetzt!
Claire streckte den Kopf hinter der Säule hervor, die Waffe erhoben …
… und Bamm! Holz und Verputz explodierten neben ihrem Gesicht, der Schuss ließ die Verzierung der Säule abplatzen, und Claire zog sich zurück. Schwer lehnte sie sich gegen die Säule, ihr Atem ging schnell und keuchend. Wenn er nur um eine Haaresbreite besser gezielt hätte …
„Na, sind Sie nicht ein flinkes Häschen?“, meinte Alfred. Seine Belustigung war nicht zu überhören. „Oder sollte ich ,Ratte‘ sagen? Das sind Sie nämlich, Claire, eine Ratte. Allerdings eine Ratte in einem Käfig.“
Wieder dieses wahnsinnige, unnatürliche Kichern … aber es entfernte sich, folgte Ashford die Treppe hinauf. Schritte, dann schloss sich eine Tür, und er war weg.
Na, rundet das die Sache nicht ab? Was wäre ein Virusausbruch ohne ein, zwei Verrückte? Es wäre fast komisch gewesen, hätte sie sich nicht so völlig daneben gefühlt. Alfred hatte einen Dachschaden.
Claire wartete noch einen Augenblick, um sicher zu sein, dass er fort war, dann atmete sie aus, erleichtert, aber nicht beruhigt. Sie würde erst dann beruhigt sein, wenn sie weit weg von Rockfort war und von Umbrella, Monstern und Wahnsinn.
Lieber Gott, sie hatte diese Scheiße so satt. Sie war eine Literaturstudentin im zweiten Jahr, sie tanzte gern, sie mochte Motorräder und einen guten Milchkaffee an einem verregneten Tag. Sie wollte Chris, und sie wollte nach Hause … und
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