Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Rarreck. »Ich vergleiche das mit einem übertrainierten Sportler. Der ganze Körper ist vollkommen ausgelaugt.«
Den größten Druck machte Rangnick wahrscheinlich gar nicht die Öffentlichkeit, den machte er sich schon selbst. Es hat ihn wohl tief getroffen, dass er trotz seines Erfolgs kaum einen Titel gewonnen hatte. Champions-League-Halbfinale mit Schalke, Herbstmeister mit Hoffenheim – das war immer nur die Hälfte von dem, was er eigentlich erreichen wollte. In die Perfektionsfalle geraten Menschen in Kreativberufen und im Spitzensport besonders leicht. Sie genießen den Erfolg, fühlen sich aber auch allein verantwortlich für den Misserfolg. Absurderweise sind der Ausbeuter und der Ausgebeutete dieselbe Person. »Er ist ja ein Mensch, der sehr viel Power hat, gerade deswegen ist er gefährdet«, drückte Mannschaftsarzt Rarreck das aus.
Zugleich ist Rangnick durchaus empfindlich: Auf Kritik reagierte er oft verletzt und emotional. Wie sensibel er ist, zeigte der Klinikaufenthalt seines Vaters im Jahr 2010, der ihn wochenlang schwer mitnahm. Auch die Krebserkrankung einesFreundes belastete ihn. Zu seiner Mannschaft aber gehörte der Fußballprofessor nie so recht dazu. Wenn seine Fußballer mit Bierduschen feierten, wirkte Rangnick immer seltsam außen vor. Es mag sein, dass ihm auch das zusetzte.
Bei seinem Neuanfang schien es zunächst so, als habe Ralf Rangnick nicht viel gelernt. Er setzte sich schon wieder atemberaubende Ziele: Es werde kaum möglich sein, mit dem Leipziger Regionalligaverein »in einem Jahr in die Bundesliga durchmarschieren« zu können, sagte er. »Aber ich bin überzeugt, dass die Entwicklung schnell gehen kann, wenn man dafür die Rahmenbedingungen schafft.« Das klang so, als wäre sein nächster Zusammenbruch gleich wieder programmiert.
Doch Rangnick wusste auch zu berichten, wie er seine Krise überwunden hatte. »Das geht nicht, ohne ein paar grundlegende Dinge zu ändern«, sagte er im ›Aktuellen Sportstudio‹. »Dazu zählen auch der Umgang mit Ruhephasen, die richtige Ernährung und die Zeit, selber Sport zu treiben.« Er wolle sich in Zukunft immer mal wieder Auszeiten gönnen. »Man muss sie sich konsequent nehmen. Das wird entscheidend sein.« Zwei Begriffe hätten für ihn eine neue Bedeutung bekommen: Selbstdisziplin und delegieren. »Die Handys müssen nicht beim Essen neben dem Teller liegen, und wenn man mal zu Hause bei der Familie ist, dürfen sie auch mal ausgeschaltet sein«, sagte Rangnick. »Man muss sich pflegen, gerade in diesem Job.«
Der Mannschaftsarzt Thorsten Rarreck hatte seinem Schützling immer eine gute Prognose gestellt. »Rangnick ist ja kein Typ, der sich hängen lässt. Er geht das aktiv an«, begründete er dies. Noch dazu habe er viele Qualitäten und sei ein intelligenter Geist. »Er wird nach einer Pause zur alten Stärke zurückkommen«, prophezeite Rarreck schon an dem Tag, an dem er Rangnicks Burn-out verkündete.
Der Vertriebene
Erwin 1 gehörte zu Adolf Hitlers stiller Reserve. Er war 19 Jahre alt, als der Führer meinte, auch ihn noch in den Krieg schicken zu müssen, um seinen Endsieg gegen alle Prognosen doch zuerreichen. Bis dahin war Erwin das idyllische Leben in Pommern auf dem Land gewohnt. Dort besaßen seine Eltern einen großen Hof, die Familie gehörte wie viele Deutsche in der Gegend zu den besonders Begüterten. Die jüngeren Bauernsöhne, wie auch er einer war, waren von der Front verschont geblieben. Man brauchte sie für die Ernte, wenn es ältere Brüder gab, die bereits fürs Vaterland kämpften. So führte Erwin sogar in Zeiten des Zweiten Weltkriegs ein ungewöhnlich friedliches Leben. Aber nun, im Winter 1944/45, musste auch er an die Front. Er hatte sich immer vor dem Krieg gefürchtet, doch in den gefrorenen Schützengräben des Ostens war es noch entsetzlicher, als er sich das jemals ausgemalt hatte.
Es sollte fast zehn Jahre dauern, bis Erwin zurückkehren durfte. Aber wohin zurück? Pommern war längst polnisch geworden, das große Gehöft der Eltern war enteignet. Zehn Jahre lang hatte Erwin erst in Schützengräben gelegen, unbeschreibliche Schrecken erlebt, Kameraden krepieren sehen – und war letztlich ins Arbeitslager nach Estland geraten, wo er, völlig unterernährt und halb erfroren, Frondienste für die Sowjets verrichten musste.
Nun, im Sommer 1955, kam er endlich aus dem Krieg zurück. Lange suchte er seine Eltern, doch die Mutter war auf der Flucht gestorben. Seinen Vater fand er
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