Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Thorn. Sie betreut Klienten mit plötzlich auftretenden Wissenslücken zu ihrem Stammbaum. Es vergehe oft viel Zeit, »bis sich die Menschen nach solchen Nachrichten wieder fangen«, sagt sie.
Sabine dagegen fand die neue Situation irgendwie auch interessant. Das war eine Eigenschaft, die ihr schon früh an sich selbst aufgefallen war. Wenn sich etwas in ihrem Leben veränderte, fand sie das aufregend – auch dann, wenn die Veränderung im Grunde genommen vor allem negativ zu bewertenwar. Selbst nach dem Tod ihres geliebten Großvaters ging ihr das so. Da wachte sie morgens auf und wusste: Etwas ist anders; es ist nicht schön. Und doch verlieh ihr das – aus Gründen, die sie selbst nicht so richtig verstand – Antrieb.
Nun, nachdem ihre Vorstellungen von ihrer Abstammung durcheinandergeraten waren, ging ihr das ähnlich. Sabine akzeptierte das. Es war, wie es war. Sie fand es höchstens unvorteilhaft, dass sie nun nicht wusste, welche Krankheiten in »ihrer Familie« besonders häufig auftraten. Ob sie wohl ein hohes oder ein niedriges Brustkrebsrisiko hatte. Ob sie eher alt oder jung sterben würde. Nun war ihr plötzlich klar, warum sie andere Beine hatte als alle anderen in der Familie. Aber nicht, wo diese ihren Ursprung haben und wer solche Beine noch besitzt. Und doch sagte sie: »Ich kenne mich. Und das ist viel wichtiger, als meinen leiblichen Vater zu kennen.«
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3 Name geändert
Die Männer, die dem Mörder entkamen
Wer am 25. Juli 2011 den britischen Fernsehsender BBC einschaltete und einen jungen Mann vor dem Gerichtsgebäude in Oslo über die Schrecken von Utøya erzählen hörte, der konnte glauben, er lausche einem Reporter. Gewiss zeigte sich dieser 27-Jährige mit dem vollen, sandfarbenen Haar nicht völlig unberührt von den grässlichen Geschehnissen, über die er sprach. Aber welcher Norweger, welcher Mensch war zu diesem Zeitpunkt schon unbeschwert? Nur drei Tage zuvor hatte der Rechtsextreme Anders Behring Breivik auf der kleinen norwegischen Insel Utøya, wo sich die Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei gerade zu ihrem Sommercamp traf, ein Massaker entsetzlichen Ausmaßes verübt.
Ruhig und selbstsicher, ohne nach Worten suchen zu müssen, berichtete Vegard Grøslie Wennesland nun von dem, was auf der Insel geschah. Und doch war er kein Reporter. Wennesland war selbst auf Utøya gewesen, als Breivik dort im Laufe von gerade einmal 75 Minuten 69 Menschen tötete. Um ein Haar wäre auch Wennesland ums Leben gekommen. Dass der junge Sozialdemokrat nur drei Tage später überhaupt in derLage war, vor laufender Kamera von seinen Erlebnissen zu berichten, war beachtlich. Wie er das tat, war noch beachtlicher.
»Als die ersten Schüsse fielen, war ich im Zeltlager. Ich konnte den Schützen also nicht sehen«, erzählte er dem Fernsehpublikum in aufrechter Haltung. Unruhig waren nur seine umherschweifenden Augen. Ein suchender Blick, wie ihn viele Menschen zeigen, die normalerweise nicht vor der Kamera stehen. »Aber als ich nach draußen trat, wurde schnell klar, dass es sehr ernst war«, so Wennesland weiter. »Ich sah meine Freunde auf mich zulaufen, weg von ihm.« Manche Fliehenden seien gestürzt, und Wennesland sah, wie Breivik auf sie zuging und sie mit einem Kopfschuss exekutierte. Da rannte Wennesland um sein Leben.
Er flüchtete in eine Holzhütte, wo er sich mit etwa 40 anderen jungen Leuten verbarrikadieren konnte. Breivik versuchte, in die Hütte zu gelangen; er schoss durchs Fenster und durch die Wände, bevor er nach unendlichen Minuten von ihnen abließ und sich im Freien weitere Opfer suchte. Ständig hörten die Eingeschlossenen Schreie und weitere Schüsse, hörten, wie ihre Freunde und Bekannten um Erbarmen flehten, und fragten sich, ob auf das kleine, abgelegene Inselchen überhaupt noch rechtzeitig Hilfe kommen könnte. Hilfe, die mit diesem Ungeheuer da draußen fertig wurde. »Ich schätze, dass ich eine Stunde dort unter dem Bett lag und nur hoffte und betete. Es war schrecklich. Es war schrecklich«, sagte Wennesland im Fernsehen.
Es war nicht so, dass Wennesland seine Erlebnisse tief in seinem Innern weggeschlossen hatte und von ihnen erzählte, als beträfen sie ihn gar nicht persönlich. Eine innere Stärke machte ihn offenbar so gefasst. Einmal, da kamen ihm doch fast die Tränen. Wie er in dieser Situation noch SMS-Botschaften an seine Familie und seine Freunde habe verschicken können, fragte ihn die BBC-Moderatorin von ihrer roten
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