Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
mag überraschen. Doch tatsächlich können Wissenschaftler nicht nur an Säugetieren, sondern auch an niederen Lebewesen ein so vielschichtiges Phänomen wie psychische Widerstandsfähigkeit erforschen.
Schon das kleinste ihrer Versuchstiere, die Fruchtfliege mit ihrem winzigen Gehirn, könne uns Menschen etwas über unser Seelenleben verraten, meint Martin Heisenberg. Sie hilft sogar, die Hintergründe derart komplexen Verhaltens zu verstehen, wie in Lethargie zu verfallen oder aber in einer scheinbar aussichtslosen Lage einen neuen Weg zu finden. Es ist wahr: Auch Fliegen geben sich manchmal auf. Zum Beispiel, wenn Martin Heisenberg sie genügend frustriert hat. Sie werden dann antriebslos, scheinen jeden Lebensmut zu verlieren – ganz ähnlich wie Menschen, wenn sie sich als Spielball desSchicksals fühlen und ihre eigenen Entscheidungen als irrelevant für den Lauf ihres Schicksals empfinden.
Um das zu demonstrieren, steckt Heisenberg die Fliegen in einen winzigen Kasten, dessen Boden ab und zu unangenehm heiß wird. Wenn die Tiere dann aber nicht vor Schreck verharren, sondern weiterkrabbeln, kühlt sich der Boden bald wieder ab. Eine zweite Gruppe Fliegen kann an der Hitze dagegen nichts ändern. Diese tritt auf und vergeht wieder – gleichgültig, was die Tiere dagegen zu unternehmen versuchen. Das hat auf diese zweite Gruppe von Fliegen – die geknechteten, die unterdrückten Exemplare – einen durchschlagenden Effekt: In einem Folgeexperiment bemühen sich diese Tiere gar nicht mehr, der Hitze zu entkommen. Die geknechteten Fliegen bleiben einfach untätig in ihrem Kasten sitzen, auch wenn der heiße Boden unter ihren Füßen sie eigentlich zum Weglaufen animieren sollte. Dabei wäre die Flucht diesmal sogar auf einfache Weise möglich; sie müssten nur auf die andere Seite der Kammer hinüberlaufen, wo es angenehm kühl ist. Das aber ahnen die Fliegen nicht, und sie hoffen es auch gar nicht mehr. Offenbar empfinden sie ihre Lage als aussichtslos und haben jeden Antrieb verloren, ihre Situation zu verbessern.
Die Insekten verhalten sich wie geprügelte Hunde, möchte man meinen. Und so ist es auch: Die Vorlage zu Heisenbergs Fliegenexperiment stammt aus den 1960er-Jahren. Damals haben die Psychologen Martin Seligman und Steven Maier Hunde mit Elektroschocks traktiert. Auch hier versuchten jene Tiere, die im ersten Versuchsteil keinen Einfluss auf ihr Schicksal hatten, im zweiten Teil gar nicht mehr, den Stößen zu entkommen, und blieben lethargisch in ihrer Box liegen. Von »learned helplessness« sprechen Psychologen seither, von »erlernter Hilflosigkeit«. Sie gilt bis heute als Modell für Depressionen, hilft aber auch, das unterschiedliche Ausmaß an psychischer Widerstandskraft zu ergründen, das Menschen zu eigen ist. Denn in diesen Experimenten gibt es immer wieder einzelne Individuen, die eben nicht lernen, dass sie hilflos seien, sondern weiterkämpfen.
Ob das Verhalten der Fliegen wirklich etwas mit umfassender Antriebslosigkeit, gar einer Art Depression zu tun hat? Dasfragt sich auch Martin Heisenberg. In jüngster Zeit hat er beobachtet, dass die Fliegen, nachdem sie eine aussichtslose Situation hinter sich gebracht hatten, generell weniger und langsamer laufen als zuvor. »Wir wissen aber noch nicht, ob diese Tiere zum Beispiel auch weniger Lust haben, sich zu paaren«, sagt er. Auffällig sei, dass weibliche Fliegen häufiger von erlernter Hilflosigkeit betroffen sind als männliche, wie dies auch für Menschen mit Depressionen gilt.
Wie vergleichbar die erlernte Hilflosigkeit der Fliegen mit den Depressionen der Menschen auch immer ist: Für Medikamententests reichen die Ähnlichkeiten offenbar. Denn die Fliegen lassen sich mit Psychopharmaka therapieren. Ein paar Mikrogramm Citalopram, ein bisschen 5-HTP oder auch das in den USA längst als Psychopille gegen jede Unbill des Alltags verwendete Prozac helfen den Tieren, wieder besser drauf zu sein. Ihre Deprimiertheit ist dann wie verflogen, sie retten sich genauso erfolgreich wie ihre unvoreingenommenen Artgenossen vor der Hitze.
Wie die Fliegen lernen auch Menschen durch Erfolg oder Nichterfolg. Wesen mit einer solchen Lernstrategie hat die Natur aber zu ihrem Schutz offenbar ein Programm mitgegeben, das dafür sorgt, dass sie an einem bestimmten Punkt auch aufgeben. »Wenn man sich im Leben durch Ausprobieren fortentwickelt, dann braucht man einen Notschalter, der einen davon abhält, unaufhörlich weiterzuprobieren«, sagt
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