Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
wie die Wirkung des Neurotransmitters im Gehirn: Die Arzneimittel werden gegen Migräne eingesetzt oder gegen Bluthochdruck, als Schlafmittel oder als Appetitzügler; die allermeisten dieser Medikamente aber richten sich gegen psychische Erkrankungen.
Auf der Suche nach dem Resilienz-Gen
Klaus-Peter Lesch hatte 1996 jedoch etwas völlig Neues entdeckt. Er hatte erkannt, dass es bei Menschen verschiedene Varianten des Gens für den Serotonintransporter gibt. Kurze Zeit später konnte er sogar nachweisen, dass die Ausprägung des Gens tatsächlich Einfluss auf den Gemütszustand von Menschen hat; eine Form dieses Gens schien Angst zu vertreiben, die andere aber Trübsinn zu befördern. Leschs Team analysierte die Persönlichkeit von 505 Menschen und danach auch ihre Gene. Tatsächlich zeigten diejenigen mit der Trübsinns-Variante des Gens besonders großen Neurotizismus. Sie neigten also zu Nervosität, reagierten schnell auf Stress, waren unsicher und verlegen, hatten viel Angst und waren auch häufig traurig. Die Testpersonen mit der Glücks-Variante des Gens schienen im Gegenzug gegen diese Charakterzüge gefeit zu sein.
Dabei waren die Unterschiede in den beiden Genen wirklich klein: In der einen Variante wiederholte sich ganz am Ende (inder sogenannten Promotor-Region) ein bestimmtes Stückchen 14 Mal, in der anderen Variante dagegen 16 Mal. So war das riesige Erbgutmolekül des Menschen – die drei Milliarden Bausteine lange DNA, die in jeder seiner Körperzellen vorliegt – in dem einen Fall gerade mal um 44 Bausteine verkürzt. Das war alles. Und doch schien dieser Unterschied einen gewaltigen Einfluss auf das Seelenleben zu haben. Wer die kurze Version in sich trug, erwies sich als verletzlich und war erheblich anfälliger dafür, eine Depression zu entwickeln. Dagegen machte die lange Version, die in der Bevölkerung deutlich häufiger vorkommt, ihre Träger seelisch stabil gegen plötzlich auftretendes Ungemach.
Als Moffitt und Caspi von Leschs Fund hörten, schalteten sie sofort. Schließlich verfügten sie über die ideale Datensammlung, um diesen atemberaubenden Zusammenhang von Genetik und Psyche bei einer größeren Gruppe von Menschen überprüfen zu können. Die Vorstellung faszinierte die Psychologen: Womöglich beeinflussten simple genetische Unterschiede, wie sich das ganze Leben dieser Kinder entwickelte.
Die Gene der Kinder von Dunedin waren schnell gelesen. Nun mussten Moffitt und Caspi allerdings noch in aufwendigen statistischen Erhebungen herausfinden, ob sich dies irgendwie mit deren Gemütszustand und Entwicklung in Zusammenhang bringen ließ. Fürwahr, das tat es: Tatsächlich hatten die Kinder mit der kurzen Variante des Gens für den Serotonintransporter mehr depressive Symptome; wenn etwas Schlimmes in ihrem Leben passiert war, wurde bei ihnen häufiger eine Depression diagnostiziert, und sie neigten auch stärker zu Suizidgedanken als die Testpersonen mit der langen Genvariante, die mit ähnlichen Schwierigkeiten zurechtkommen mussten.
Die lange Variante des Serotonintransporters vermittelte offenbar Widerstandskraft gegen widrige Umstände. Es war augenscheinlich ein Resilienz-Gen! Emmy Werner, die US-amerikanische Pionierin auf dem Gebiet der Resilienzforschung, zeigte sich beeindruckt: Offenbar könne das genetische Rüstzeug eines Menschen »dessen Reaktion auf Kränkungen aus der Umwelt abschwächen«, so Werner.
Auch die Resistenz gegen den Stress des Erwachsenenlebens scheint die lange Genvariante zu erhöhen. Das hat der psychiatrische Genetiker Kenneth Kendler später mit Hilfe von 549 erwachsenen Zwillingen gezeigt. Bei den Zwillingen lösten Scheidungen, der Verlust des Arbeitsplatzes und weitere belastende Ereignisse vor allem dann Depressionen aus, wenn die Betroffenen von ihren beiden Eltern ein verkürztes Gen für den Serotonintransporter geerbt hatten.
Dass die lange Variante des Serotonintransporters dabei hilft, mit Schicksalsschlägen besser zurechtzukommen, hat sich inzwischen in vielen weiteren Studien an Menschen bestätigt, etwa nach der für Florida besonders schweren Hurrikan-Saison des Jahres 2004. Dort litten Personen mit dem Trübsinns-Gen besonders schwer unter den Folgen des Hurrikans. Zuletzt kamen Humangenetiker der Universität Würzburg, die auf Studien an mehr als 40 000 Testpersonen einen analytischen Blick warfen, zu demselben Schluss wie Moffitt und Caspi: Es gibt einen Zusammenhang zwischen der Variante des Serotonintransporters und dem
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