Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Cortex. Diese hinter der Stirn liegende Hirnregion (auch Frontallappen genannt) ist quasi unser oberstes Kontrollzentrum dafür, dass wir angemessen auf eine Situation reagieren. Der präfrontale Cortex empfängt die Signale von außen (wie den Knall), verknüpft sie mit Gedächtnisinhalten und auch mit emotionalen Bewertungen, die aus dem limbischen System stammen. Was ist beim letzten Mal passiert, als so ein Knall zu hören war? War es furchteinflößend oder nicht weiter schlimm? War es richtig oder unnötig, dass man weggelaufen ist? Auf diese Weise ist der präfrontale Cortex nicht nur daran beteiligt, dass wir bei einer Explosion in Deckung gehen, sondern auch daran, dass wir unsere Emotionen danach wieder regulieren. Wenn in der Nähe Kinder mit Platzpatronen schießen, erschrecken wir uns spätestens beim dritten Schuss nicht mehr so stark.
Dass die Nervenzellen in diesem für unser Leben so wichtigen Kontrollzentrum bei einem unangenehmen Erlebnis je nach Persönlichkeit unterschiedlich stark feuern, lässt sich mittels funktioneller Magnetresonanztomographie feststellen. Mit dieser Technik können Forscher sichtbar machen, welche Hirnregionen in bestimmten Situationen aktiv sind – sofern diese Situationen irgendwie in der engen Röhre eines Tomographen zu realisieren sind.
Ein lauter Knall aber ist das. So zeigt sich, dass bei entspannteren Zeitgenossen die linke Seite des präfrontalen Cortex stärker aktiv ist. Solche Menschen bewerteten in Experimenten unangenehme Situationen tendenziell positiver als Personen mit einer stärkeren Aktivierung der rechten Seite des präfrontalen Cortex. Der linke Hirnlappen steht für gute Gefühle, mehr Enthusiasmus und gute Laune, während Menschen mit einem aktiven rechten Frontallappen eher Miesepeter oder ängstliche Typen sind.
Der Effekt ist so deutlich, dass Wissenschaftler sogar vorhersagenkönnen, wie Individuen in einer unangenehmen Situation reagieren werden, wenn sie zuvor nur deren Zellfeuer im Cortex betrachtet haben. Schon bei zehn Monate alten Babys sind solche Unterschiede zu finden. Und einer Gruppe von Psychologen um Richard Davidson gelang es tatsächlich, bei den Kleinen zu prophezeien, wie schlimm eine kurze Trennung von ihrer Mutter für sie sein würde. Kinder, die zuvor vermehrte linksfrontale Aktivierung zeigten, reagierten auf die Trennung von der Mutter entspannter. Kinder mit mehr Feuer im rechten Cortex weinten dagegen.
Außer dem Cortex gibt auch der Hippocampus Auskunft über die psychische Stärke. So kann sich nach Ansicht von Forschern wie Michael Meaney fehlende Zuwendung direkt ins Gehirn eingraben. Als er seinen Versuchstieren genauer unter die Schädeldecke blickte, stellte er fest: Bei den von ihren Müttern vernachlässigten Rattenkindern waren wichtige Hirnregionen unterentwickelt, die sogenannten Hippocampi. Diese Regionen, von denen sich in jedem Gehirn rechts und links eine findet, haben die Form eines Seepferdchens; sie gelten als zentrale Schaltstationen für Gedächtnisleistungen und für Emotionen. »Die Rattenmütter formten also – im wahrsten Sinne des Wortes – die Gehirne ihrer Jungen durch ein simples, natürliches Verhalten«, ist Meaney überzeugt.
Entsprechende Auffälligkeiten im Gehirn wurden auch schon bei Menschen gefunden. So besitzen Personen mit schweren Depressionen genauso ungewöhnlich kleine Hippocampi wie die Ratten mit den lieblosen Müttern. Das Gleiche gilt für Opfer von Kindesmissbrauch oder Vietnamveteranen mit schwerem Trauma.
Ist Stress also Gift fürs Gehirn? Oder sind die kleinen Hippocampi vielleicht doch nicht die Folge, sondern die Ursache großer psychischer Verletzbarkeit? Der Psychiater Roger Pitman glaubt an Letzteres, seit er die Gehirne von Menschen untersucht hat, die schwer traumatisiert wurden. In seiner Studie gab es nämlich eine Besonderheit: Die von ihm untersuchten Traumaopfer waren Zwillinge. Und ihre Geschwister, denen nichts vergleichbar Schreckliches passiert war, hatten ähnlich kleine Hippocampi – ganz ohne Trauma.
Sollte sich diese Beobachtung bestätigen, könnte man besonders verletzbare Menschen künftig womöglich davor warnen, sich einen Beruf zu suchen, der mit großen psychischen Belastungen einhergeht. Hirnscanner könnten zum Einsatz kommen, um wenig resiliente junge Männer davon abzuhalten, als Berufssoldat nach Afghanistan zu gehen oder als Rettungssanitäter Unfallopfer zu behandeln. Auch viele dieser Sanitäter erkranken nämlich im Laufe
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