Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
noch dazu genetisch identisch, während zweieiige Zwillinge einander genetisch auch nicht ähnlicher sind als gewöhnliche Geschwister. Deshalb kann man an Vergleichsstudien mit beiden Arten von Zwillingspaaren besonders gut darauf rückschließen, wie viel Einfluss die Gene auf eine bestimmte Art der Entwicklung haben und wie viel die Umwelt. Zwillinge sind also eine Fundgrube für die Erforschung von Gen-Umwelt-Interaktionen.
Entsprechend interessante Schlüsse konnte Julia Kim-Cohenaus den von ihr untersuchten Familien ziehen. Was die Entwicklung auffälligen Verhaltens betraf, ähnelten die eineiigen Zwillinge einander erheblich stärker als die zweieiigen. Tendenziell waren die Eineiigen entweder beide resilient gegen die Aggressionen zu Hause oder eben nicht. Die Zweieiigen entwickelten sich dagegen häufiger in unterschiedliche Richtungen. Aus dem Verhalten der Zwillinge hat Kim-Cohen für die Gene einen Einfluss von 70 Prozent errechnet. 30 Prozent bleiben für die Umwelt. Andere Forscher setzen das Kräfteverhältnis von Erbanlagen zu Umweltfaktoren bei der Entstehung von Resilienz hingegen auf 50 zu 50 an.
Ein hochgradig komplexes Wechselspiel
Dabei beeinflussen Gene und Umwelt einander auf oft erstaunliche Weise. »Das Wechselspiel ist hochgradig komplex«, betont der Erlanger Psychologe Friedrich Lösel.
Zum Ersten werden Kindern von ihren Eltern nicht nur Gene mitgegeben, sondern – sofern sie bei ihren natürlichen Eltern aufwachsen – gleich noch eine Umwelt dazu. Auch die Umwelt ist somit zu einem gewissen Grade »ererbt«.
Zum Zweiten suchen sich Kinder durchaus jene Nischen in ihrer Umwelt, die ihren angeborenen Veranlagungen, Interessen und Talenten am ehesten entsprechen. Wer offen und neugierig ist, der entscheidet sich häufig aktiv für neue Erfahrungen. Die wiederum begünstigen die Entwicklung dieser Kinder – und machen sie letztlich auch resilienter. »Selbst kleine Kinder sind nicht nur passive Empfänger sozialisierender Einflüsse durch ihre Eltern, Familien und Umwelten«, sagt Julia Kim-Cohen. Das Kind wählt sich also seine Umwelt.
Und zum Dritten reagieren Eltern und Erzieher durchaus unterschiedlich, je nachdem welche Persönlichkeitseigenschaften ein Kind aufgrund seiner genetischen Ausstattung mitbringt. So treten Kinder mit einem extravertierten Temperament gern mit den Erwachsenen in ihrem Umfeld in Kontakt. Auf diese Weise bekommensie oft mehr Aufmerksamkeit und Stimulation von ihren Eltern, Lehrern oder Erziehern als schüchterne Kinder – und können am Ende auch mehr Resilienz entwickeln. Das Kind formt sich somit seine Umwelt.
»Wenn wir sagen, dass die Biologie eine erhebliche Rolle bei der Entwicklung des Charakters und der psychischen Widerstandskraft spielt, dann bedeutet das nicht, dass das Verhalten eines Menschen genetisch vorbestimmt ist«, fasst Friedrich Lösel den Stand der Dinge zusammen. Das werde oft missverstanden. »Die Gene setzen zwar die Grenzen, aber es bleibt ein erheblicher Spielraum.« Man könnte auch sagen: Die Gene machen dem Menschen nur ein Angebot, das er selbst ausgestalten kann.
Das Doppelgesicht der Resilienz-Gene:
Löwenzahn und Orchidee
So kommt es, dass ein und dieselbe Genvariante extrem unterschiedliche Auswirkungen haben kann. Je nachdem wie die Umwelt mitspielt, kann dasselbe Gen verwundbar oder auch resilient machen. »In einem liebevollen Umfeld können Gene, die in schwierigen Verhältnissen vulnerabel machen, ein Kind sogar psychisch stärken«, sagt die Entwicklungspsychologin Jelena Obradovic von der Stanford-Universität. Die Resilienz-Gene haben offenbar ein Doppelgesicht.
So kann das Trübsinns-Gen (für den Serotonintransporter) mitunter aktiv vor Depressionen schützen.
Wenn es in der Familie viel Liebe gibt, kann das sonst so kritische Gewaltspiralen-Gen (für das MAO-A-Enzym) Jungen zu Kuschel- statt zu Schlägertypen werden lassen.
Und Varianten eines Gens namens CHRM2, das in schwierigen Familien das Risiko für Aggressivität, Regelübertritte und Alkoholismus erhöht, macht Jugendliche in fürsorglichen Familien zu den unproblematischsten Zeitgenossen von allen.
Demnach gibt es, was die psychische Widerstandskraft betrifft, wohl eher keine wirklich guten, wünschenswertenGene – und auch nicht solche, die man lieber nicht haben will. Eine mögliche Erklärung dafür hat Jelena Obradovic gemeinsam mit Thomas Boyce schon geliefert – und zwar, indem sie nicht besonders nett zu kalifornischen Vorschulkindern
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