Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Laucht: »Diese Variante des Gens scheint zumindest zu einem gewissen Grad resilient gegen spätere psychische Folgen von Misshandlung in der Kindheit zu machen«, schreiben sie.
Die niedrige MAO-A-Aktivität und ein kurzes Trübsinns-Gen lassen sich sogar im Gehirn ablesen. Offenbar reagieren die vulnerablen Kinder besonders stark auf Stress, wie vor allem Studien mittels Magnetresonanztomographie gezeigt haben: Geraten Kinder mit den entsprechenden Genen unter Druck, dann wird ihr Hippocampus – jene Region im Gehirn, die Erinnerungen an bedrohliche Situationen speichert – schnell in einen Alarmzustand versetzt. Auch feuern die Nervenzellen im Angstzentrum des Gehirns, in der Amygdala,immer dann aufgeregt, wenn solchen Kindern ängstliche oder wütende Gesichter gezeigt werden, wie der Biopsychologe Turhan Canli gemeinsam mit Klaus-Peter Lesch gezeigt hat. Kurz: Kindern mit dieser genetischen Ausstattung scheint die Kontrolle von unangenehmen Gefühlen wie Angst oder Stress besonders schwerzufallen.
Gen-Umwelt-Interaktionen – ein neues Forschungsgebiet
Wie gesagt: Gewaltspiralen- wie Trübsinns-Gen haben auf den Gefühlshaushalt nicht misshandelter Kinder keinen Einfluss. Die Erbanlage kommt nur zum Tragen, wenn die Kinder selbst Gewalt erfahren haben.
Angesichts solcher Wechselwirkungen lächeln Persönlichkeitsgenetiker längst schon müde über einen alten Streit, der noch in den 1990er-Jahren mit zum Teil harten Bandagen ausgetragen wurde: die Auseinandersetzung darüber, ob denn nun die Gene oder die Umwelt bei der Ausbildung des Charakters die Oberhand haben. Diese »Nature versus Nurture«-Debatte (engl. für »Natur gegen Umwelt«) hatte schon ein Cousin von Charles Darwin, der britische Universalgelehrte Sir Francis Galton, im 19. Jahrhundert angestoßen. Moderne Persönlichkeitsgenetiker aber sind sich inzwischen sicher: Beide Faktoren beeinflussen einander ständig und in hohem Maße. Sie beschäftigen sich daher – auch bei der Erforschung der Ursachen für Resilienz – zunehmend mit »Gen-Umwelt-Interaktionen«, einem ständig wachsenden Forschungsgebiet.
Solche Gen-Umwelt-Interaktionen spielen, so der aktuelle Forschungsstand, wohl bei den meisten psychischen Leiden eine Rolle. Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Gene, die Widerstandskraft gegen solche Krankheiten oder aber Empfänglichkeit dafür vermitteln, »versteckt sind und nur dann zutage treten, wenn Stress dazukommt«, wie es die Psychologin Julia Kim-Cohen ausdrückt. »Das wäre auch eine Erklärung, weshalb es so oft große Unterschiede im Auftreten von Schizophrenie bei eineiigen Zwillingen gibt, obwohl diese dieselben Gene besitzen und eine starke genetische Komponente bei Schizophrenie als gesichert gilt.«
Die große Bedeutung der Gene für viele psychische Leiden ist heute unstrittig. »Bei depressiven Erkrankungen ist bestens belegt, dass Personen mit einer genetischen Prädisposition auf belastende Lebensereignisse wesentlich leichter depressiv reagieren als andere«, folgert die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde. »Dies kann so stark ausgeprägt sein, dass bereits minimale Stressoren wie die Jahreszeitenwechsel oder Zeitzonenflüge eine depressive Episode auslösen können.« Womöglich hätten Gene auch einen Anteil daran, dass die Belastbarkeit von Mensch zu Mensch im Hinblick auf Burnout-Beschwerden so unterschiedlich ist. Hier gebe es jedoch, anders als bei Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen, bisher keine wissenschaftlichen Belege.
Die Gene haben also zweifelsohne einen erheblichen Einfluss. Dennoch sind sie keine Alleinherrscher über den Menschen. »Wir sind trotz allem nicht Opfer unserer Gene«, sagt Julia Kim-Cohen. Das Kräfteverhältnis von Erbanlagen und Umweltfaktoren bei der Entstehung von Resilienz hat sie in Studien mit über 1100 gleichgeschlechtlichen Zwillingen untersucht, die alle in den Jahren 1994 oder 1995 in Wales oder England geboren wurden. Etwa die Hälfte der Zwillinge ist eineiig, die andere Hälfte zweieiig. Manche kommen aus problematischen Familien und haben aggressive oder antisoziale Verhaltensprobleme entwickelt. Andere aber sind trotz des gleichen familiären Backgrounds nicht auffällig geworden.
Zwillingspaare üben eine besondere Faszination aus, auch auf Forscher. Da Zwillinge zur gleichen Zeit in eine Familie hineingeboren werden, erleben sie eine ziemlich ähnliche Umwelt. Eineiige Zwillinge sind
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