Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Raupe zum Schmetterling: »Das simple wurmartige Geschöpf, das nicht viel mehr konnte als fressen und kriechen, trug in jeder seiner Zellen exakt dieselben Gene wie das herrliche Tier, das jetzt so unnachahmliche Flugkunststücke vorführte. Was sich geändert hatte, waren einzig die epigenetischen Programme. (…) Hinterher hatte fast jede Zelle eine andere Aufgabe.«
Auch wenn es beim Menschen keine so drastische Metamorphose wie die von der Raupe zum Schmetterling gibt: Im Laufe des Lebens verändert sich auch sein Erbgut durch epigenetische Prozesse stetig weiter. Erfahrungen und Umwelteinflüsse schlagen sich an Zehntausenden Orten als chemische Markierungen in der DNA nieder.
Wissenschaftler haben inzwischen schon Spuren von Ernährung, Luftverschmutzung, Drogen, geistiger Anstrengung und auch von Stress in Form epigenetischer Veränderungen entdeckt. Biologen nennen die Epigenetik daher das Gedächtnis des Körpers. Die epigenetischen Veränderungen seien »die Sprache, in der das Erbgut mit der Umwelt kommuniziert«, sagt der Biologe Rudolf Jaenisch.
Ein dynamischer Prozess
So unterscheiden sich auch eineiige Zwillinge mit der Zeit genetisch immer stärker. Dabei besaßen sie bei ihrer Entstehung noch wie zwei Klone dieselbe DNA. Wie das Leben die Zwillinge immer individueller werden lässt, hat der Arzt und Molekulargenetiker Manel Esteller eindrucksvoll belegt: In einer wegweisenden Studie untersuchte er das Blut von 40 eineiigen Zwillingspaaren, die zwischen drei und 74 Jahre alt waren. Dabei zeigte sich: Während sich die epigenetischen Muster bei den jungen Geschwistern nur wenig unterschieden, gab es bei den Zwillingspaaren im Seniorenalter erhebliche Abweichungen. Die Unterschiede im Erbgut der älteren Geschwister waren umso größer, je unterschiedlicher ihr Leben verlaufen war. »Wenn einer von beiden mit dem Rauchen anfängt, Drogen nimmt oder stärkerer Umweltverschmutzung ausgesetzt ist, dann kann das epigenetische Profil der Zwillinge deutlich voneinander abweichen«, sagt Esteller. Der gesamte Prozess der epigenetischen Veränderungen sei »sehr dynamisch«, betont der Genetiker.
Wie dynamisch er ist, haben schwedische Forscher im März 2012 gezeigt – und damit selbst Fachkollegen in Erstaunen versetzt. Gerade hatten sich Lebenswissenschaftler aller möglichen Fachdisziplinen an die Veränderlichkeit des menschlichen Erbguts zu gewöhnen begonnen, da präsentierten die Schweden ihren Überraschungsfund: Veränderungen am Molekül des Lebens können schon binnen Minuten ablaufen, ließen sie ihre Kollegen wissen.
Die Wissenschaftler um die Physiologin Juleen Zierath brachten 14 gesunde, aber unsportliche junge Leute um die 25 Jahre dazu, auf einem Fahrrad-Ergometer in die Pedale zu treten. Schon nach 20 Minuten hatte der Sport das Erbgut in den Muskelzellen der Strampelnden verändert: Es fanden sich dort weniger chemische Markierungen (in Form von Methylgruppen) als vor dem Fahrradfahren. Das erkannten die Forscher an winzigen, zwischen 50 und 100 Milligramm schweren Muskelstückchen, die sie ihren Probanden aus dem Oberschenkel pickten. »Unsere Muskeln sind wirklich plastisch«,sagte Juleen Zierath, die selbst von ihrer Entdeckung überrascht war.
Im Grunde ist das aus dem Alltag ja längst bekannt. Immerhin passen sich die Muskeln ständig in ihrer Form und Stärke daran an, wie ein Mensch sein Dasein fristet. Durch Sport werden sie gestählt, und wenn sie für einige Wochen in einen Gips gepfercht werden, sind sie selbst bei bis dahin durchtrainierten Zeitgenossen auf ein trauriges Maß zusammengeschrumpft. »Muskeln adaptieren sich extrem an die Anforderungen, die an sie gestellt werden«, so Zierath. Das Aufregende an der schnellen Trainierbarkeit der Muskeln aber ist, dass ihr offenbar epigenetische Mechanismen zugrunde liegen. Der Abbau der Methylierungen sei als molekularer Trainingseffekt zu werten, meint die Physiologin. Es waren schließlich nicht irgendwelche Gene, die sich bei den unsportlichen Testpersonen auf den Fahrrad-Ergometern verändert hatten. Vielmehr verschwanden Methylgruppen an Erbanlagen, die bei sportlicher Betätigung am Stoffwechsel beteiligt sind.
Solche Prozesse laufen dynamisch ab, und sie scheinen auch schon früh im Leben zu beginnen – nämlich noch im Mutterleib: Ein australisches Forscherteam um Jeffrey Craig und Richard Saffery hat die Versuche ihres spanischen Kollegen Manel Esteller an Zwillingen zeitlich noch ein bisschen vorverlegt: Sie
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