Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Gemütszustand.
Es kommt auf mehr als auf die Gene an
Dennoch ist der Zusammenhang zwischen dem Resilienz-Gen und der seelischen Widerstandskraft nicht ganz so simpel, wie manche Experten in ihrer Anfangseuphorie dachten. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Es kommt nicht nur auf die Gene an. Welchen Einfluss sie auf das Wesen des Menschen und auf seinen Umgang mit schwierigen Situationen ausüben, hängt von vielen Faktoren ab.
Eigentlich hatten Caspi und Moffitt das von Anfang an betont: Allzu begeisterten Genetikern, die sich in ihrer Weltsicht von der Allmacht der Erbanlagen bestätigt fühlten, hatten die Psychologen gleich zu Beginn den Wind aus den Segeln genommen. Sie haben immer darauf hingewiesen, dass die Einteilung in das »Trübsinns-Gen« und das »Glücks-Gen« eine unzulässige Vereinfachung sei. Denn es ist nicht so, dass man nur ein bestimmtes Gen haben muss und sogleich eine Depression entwickelt. Der Zusammenhang zwischen genetischer Ausstattungund Seelenheil galt auch bei den Kindern von Dunedin nur unter einer Voraussetzung: dass sie in ihrem jungen Leben bereits schlecht behandelt worden waren.
»Die Genetik zeigt keinen Effekt auf die psychische Gesundheit, wenn die Individuen keinerlei Risiken ausgesetzt waren«, betonte Terrie Moffitt. So hatten manche Kinder von Dunedin bereits Depressionen entwickelt, bevor ihre familiäre Situation schwierig wurde – bevor sich etwa die Eltern trennten oder der Vater zum Alkohol griff. Bei diesen Kindern, die offenbar aus sich heraus und ohne einen schwerwiegenden äußeren Anlass depressiv wurden, trat die Krankheit unabhängig davon auf, welche Gene für den Serotonintransporter sie besaßen.
Wie stark die äußeren Bedingungen den Einfluss der Gene modulieren, zeigt auch das Schicksal der Hurrikanopfer: Längst nicht alle Menschen mit der kurzen Genvariante, die durch die Flut heimatlos geworden waren, entwickelten eine PTBS. Offenbar kann »ein gutes soziales Netz aus Freunden und Bekannten schwer traumatisierende Erlebnisse abpuffern«, so der Psychiater Dean Kilpatrick, »selbst wenn die biologischen Grundlagen alles andere als günstig sind.«
Gewalt als Erbe
Auch eine weitere Genvariante, die ebenfalls Terrie Moffitt und Avshalom Caspi fanden, kommt erst durch äußere Auslöser zum Tragen: Man könnte sie, grob vereinfachend, das »Gewaltspiralen-Gen« nennen. Es handelt sich erneut um eine Erbanlage, die den Serotoninstoffwechsel betrifft, nämlich das Gen für das Enzym Monoaminooxidase-A (MAO-A). Das Enzym baut verschiedene Hirnbotenstoffe ab, darunter auch Serotonin. MAO-Hemmer werden schon seit Jahren als Medikamente gegen Depressionen verschrieben.
Eine Mutation in dem Gen MAO-A kann sich Moffitts und Caspis Forschungen zufolge nicht nur auf die Stimmungslage und das Depressionsrisiko auswirken. Sie erhöht bei Jungen auch die Wahrscheinlichkeit für antisoziales Verhalten – sofern sie in ihrer Kindheit selbst Gewalt ausgesetzt waren. So wird ein Kind, das von seinem Vater misshandelt wird, spätereher selbst gewalttätig, wenn es eine Genvariante des MAO-A-Enzyms besitzt, die dafür sorgt, dass besonders wenig MAO-A produziert wird. Misshandelte Kinder mit relativ hoher MAO-A-Produktion sind dagegen trotz ihrer traurigen Kindheit eher ausgeglichene Zeitgenossen. Die Wissenschaftler konnten den Effekt nur für Jungen nachweisen, da das Gen für MAO-A auf dem X-Chromosom liegt. Während Jungen nur ein X-Chromosom besitzen, haben Mädchen zwei davon. Eine Mutation im MAO-A-Gen schlägt bei ihnen deshalb nicht so stark durch.
Bei den Jungen aber war der Effekt drastisch: Diejenigen von ihnen, die ein schlimmes Elternhaus hatten und zugleich mit der Anlage zu einer niedrigen MAO-A-Aktivität geboren waren, zeigten in acht von zehn Fällen ein gestörtes Sozialverhalten. Noch bevor sie volljährig wurden, entwickelten sie behandlungsbedürftige Verhaltensstörungen oder sie wurden vor ihrem 26. Geburtstag wegen einer Gewalttat verurteilt. Von denjenigen Jungen, die eine ebenso schlimme Kindheit, aber die Genvariante hatten, die für eine höhere MAO-A-Aktivität sorgte, wurden nur etwa 40 Prozent gewalttätig. Das waren allerdings immer noch doppelt so viele wie unter Kindern aus liebevollen Elternhäusern.
Ähnlich wie die lange Genvariante für den Serotonintransporter vermittelt offenbar auch die Genvariante für eine hohe MAO-A-Aktivität psychische Widerstandskraft gegen widrige Umstände, folgern Martin Holtmann und Manfred
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