Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
Umwelteinflüsse und Lebenserfahrungen wären demnach erblich.
Es waren die Folgen des Zweiten Weltkriegs, an denen sich dies erstmals auf imposante Weise zeigte: Im Winter 1944/45 erlebten die Niederlande infolge der deutschen Besatzung einebesonders schwere Zeit. Vor allem in den westlichen Provinzen des Landes hatten die Menschen nicht genug zu essen, weil die Nationalsozialisten in dem ohnehin schon strengen Winter alles Essbare zurückhielten und die Versorgung der niederländischen Bevölkerung mit Lebensmitteln fast vollständig blockierten. Rund 4,5 Millionen Menschen hungerten, etwa 22 000 starben.
Der »Hungerwinter«, wie die Niederländer ihn nennen, hat nicht nur im Geschichtsbewusstsein, sondern auch in der niederländischen Bevölkerung selbst seine Spuren hinterlassen. Denn jene Menschen, die damals geboren wurden, leiden heute noch gesundheitlich unter den Folgen der Hungersnot von 1944/45. Das haben Wissenschaftler um Tessa Roseboom herausgearbeitet. Demnach unterscheiden sich die Kinder des Hungerwinters noch als 60-Jährige von ihren Geschwistern, die zu besseren Zeiten geboren wurden.
Als Ungeborene mussten die Kinder mit einem absoluten Minimum an Nahrung auskommen. Selten konnten ihre Mütter mehr als 500 Kilokalorien pro Tag zu sich nehmen. Darauf stellte sich der Stoffwechsel der Föten offenbar ein; sie verwerteten alles, was sie kriegen konnten, so gut es ging. Diese epigenetischen Veränderungen aber beeinflussten ihr Leben als Erwachsene. Sie prädestinierten sie in den auf den Krieg folgenden Jahren des Überflusses dazu, besonders schnell Speck anzusetzen. Entsprechend häufig entwickelten sie als Folge ihres Übergewichts Erkrankungen wie Diabetes. Auch bekamen sie als Erwachsene zweimal so häufig wie andere Niederländer einen Herzinfarkt, viermal so häufig Brustkrebs und litten häufiger unter Depressionen. »Man kann also sagen: Du bist, was du isst«, sagt Tessa Roseboom, die selbst die Tochter zweier Hungerwinter-Babys ist. »Aber nicht nur. Du bist auch, was deine Mutter aß.«
Auch die Schrecken des Holocaust wirken bereits bis in die zweite Generation fort. Menschen, deren Eltern die Judenverfolgung durch die Nationalsozialisten überlebten, leiden überdurchschnittlich häufig unter Angstzuständen, posttraumatischer Belastungsstörung und Depressionen. Die New Yorker Traumaforscherin Rachel Yehuda von der Mount Sinai Schoolof Medicine konnte bei ihnen eine erhöhte Stressreaktion des Körpers nachweisen, wie dies auch für viele Menschen gilt, die selbst traumatisiert worden sind.
Yehuda arbeitet derzeit daran, die Spuren im Erbgut zu finden, die für die gesteigerte Stressreaktion verantwortlich sind. Dass es epigenetische Spuren zu entdecken gibt, davon geht sie aus.
Nicht nur die Gene des Cortisol-Stoffwechsels, auch der in Sachen Traumatisierung schon bekannte Serotonintransporter gilt als Kandidat für diese epigenetischen Veränderungen: Das fiel Epidemiologen um Karestan Koenen und Monica Uddin auf. Die Forscher hatten 1500 Erwachsene aus demselben Viertel in Detroit gefragt, ob sie unter Depressionen leiden, wie oft sie in ihrem Leben schon schwere Prüfungen bestehen mussten und ob sie infolge eines schrecklichen Erlebnisses jemals eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) entwickelt hätten. Als sie das Blut der Befragten gentechnisch untersuchten, fanden sie bei jenen Menschen, die trotz zahlreicher traumatischer Erlebnisse nie unter einer PTBS gelitten hatten, am Gen für den Serotonintransporter besonders viele Methylierungen. Offenbar war der Transporter infolge epigenetischer Prozesse nicht mehr so leicht aktivierbar wie bei empfindlicheren Zeitgenossen.
Veränderung ist möglich
Die Erkenntnisse der Forschungen zur Epigenetik haben etwas Beängstigendes: Alles, was man tut, kann sich also im Erbgut niederschlagen – vom viel zu fetten Essen an Weihnachten bis hin zur Zigarette nach Feierabend. Und nicht nur das: Die Folgen gibt man womöglich auch noch an seine Kinder und Kindeskinder weiter. Bei den niederländischen Hungerwinter-Kindern gibt es bereits erste Anzeichen für einen in die dritte oder vierte Generation durchschlagenden Effekt. Verlässliche Daten gibt es bisher aber nur aus Tierversuchen. Die allerdings sind beeindruckend: An Ratten konnten Wissenschaftler die Folgen des Rauchens auf die Enkelgeneration nachweisen. Kinderärzte um Virender Rehan und John Torday hatten trächtige Tieremit Nikotin versorgt. Deren Nachkommen
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