Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
lag außerhalb der Vorstellungskraft der meisten Forscher. Erst nach zähen Versuchen, im Jahr 2004, gelang es den beiden Kanadiern, ihre Entdeckung im Fachblatt ›Nature Neuroscience‹ unterzubringen.
Von nun an war die Erkenntnis in der Welt: Offenbar veränderten sich Gene durch die Traumatisierung, die die jungen Ratten erfuhren. Wie eng der Zusammenhang war, zeigte Eric Nestler wenig später mit einem überzeugenden Trick: Er blockierte die Methylierung bei einzelnen Tieren und verhinderte so, dass sie – im Gegensatz zur Kontrollgruppe – eine psychische Störung entwickelten, wenn er sie wiederholt mitaggressiven Artgenossen zusammenbrachte. Die malträtierten Tiere hatten weniger Interesse an Dingen, die sie sonst toll fanden – süßes Essen zum Beispiel und Sex. Fraßen sie aber den Methylierungshemmer, dann entwickelten sie keine solchen depressiven Symptome.
Ob so etwas auch für Menschen galt? Das würde ja bedeuten, dass sich Traumatisierungen mit Hilfe solcher Methylierungsblocker in Pillenform eines Tages womöglich verhindern ließen! Bald wagten Meaney und Szyf sich an diese Fragestellung heran. Im Jahr 2009 konnten sie in einer viel beachteten Studie die Hypothese untermauern, dass sich auch die Gene von Menschen durch epigenetische Prozesse verändern, wenn sie in ihrer Kindheit schlechte Erfahrungen machen. Die Wissenschaftler untersuchten die Gehirne von 36 Erwachsenen: Zwölf von ihnen waren in ihrer Kindheit misshandelt worden und hatten sich später das Leben genommen. Zwölf weitere hatten sich das Leben genommen, aber – soweit bekannt – keine schweren Kindheitstraumata erlitten; und die übrigen zwölf waren plötzlich eines natürlichen Todes gestorben.
»Die Misshandlung hatte Spuren in den Gehirnen hinterlassen«, erzählt Moshe Szyf. Und zwar Methylierungsspuren: Das epigenetische Muster in den Nervenzellen der misshandelten Suizidopfer ähnelte dem der lieblos großgezogenen Rattenkinder auf frappierende Weise. Die Schläge in der Kindheit hatten zu Methylierungen an einem Gen namens NR3C1 geführt, welches dafür sorgt, dass Andockstellen für das Stresshormon Cortisol im Gehirn gebildet werden. Die Bildung der Cortisol-Andockstellen, die das Stresshormon unschädlich machen, war somit um etwa 40 Prozent gehemmt. Wie die Gehirne der lieblos aufgezogenen Ratten, so befanden sich auch die Gehirne der Misshandelten dadurch in ständiger Alarmbereitschaft. Das machte sie offenbar besonders empfindlich für Angststörungen, Depressionen und womöglich auch den Suizid.
Das lange gesuchte Puzzlestück
»Erbe und Umwelt lassen sich nicht mehr voneinander trennen«, sagt auch die Neurowissenschaftlerin Elisabeth Binder.»Entscheidend ist immer beides.« Dafür hat sie erst vor Kurzem in aufwendigen Experimenten einen Beweis erbracht. Binder und ihr Mitarbeiter Torsten Klengel interessierten sich für FKBP5, das ein wichtiger Regulator von Stresshormonen wie Cortisol ist. Menschen, bei denen aufgrund einer Genvariante besonders viel FKBP5 gebildet wird, haben ein höheres Risiko, selbst gewalttätig zu werden, und werden auch leichter depressiv als Menschen mit einer weniger aktiven Genvariante. Allerdings nur, wenn sie selbst als Kinder misshandelt wurden. Dann nämlich verändert sich das ohnehin vulnerable Gen unter der durch das Leid ausgelösten Flut von Stresshormonen epigenetisch; seine Methylierungen verschwinden, es wird noch stärker aktiviert. »Diese dauerhafte Veränderung der DNA wird vor allem durch Traumata im Kindesalter erzeugt«, betont Torsten Klengel. Bei Studienteilnehmern, die ausschließlich im Erwachsenenalter Leid erfuhren, ließ sich keine solche Rasur der Methylreste nachweisen.
Sind die Methylgruppen aber erst einmal entfernt, dann wird das für den Stresshaushalt so zentrale FKBP5 in schwierigen Situationen immer wieder in zu großer Menge produziert. Die Folge sei »eine lebenslange Behinderung im Umgang mit belastenden Situationen«, so die Forscher. Kollegen von Binder und Klengel arbeiten deshalb bereits an einem Medikament, das die Wirkung von FKBP5 schmälern soll.
Die vererbte Umwelt
Wenn man die epigenetischen Veränderungen gewähren lässt, machen sie womöglich nicht einmal vor dem Erbgut der nächsten Generation Halt. Derzeit mehren sich die Belege dafür, dass Menschen manche Veränderungen an ihrem Erbgut, die sie selbst durch Stress, Gewalt, Drogen oder auch nur durch ihre Ernährung erworben haben, an ihre Nachkommen weitergeben.
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