Resilienz: Das Geheimnis der psychischen Widerstandskraft Was uns stark macht gegen Stress, Depressionen und Burnout (German Edition)
untersuchten das Erbgut eineiiger Zwillinge direkt nach der Geburt, indem sie auf das Nabelschnurblut der Neugeborenen und ihren Mutterkuchen zurückgriffen. Obwohl die Zwillinge bei ihrer Zeugung noch genetisch identisch gewesen waren, kamen sie bereits mit unterschiedlichen Prägungen im Erbgut zur Welt. Diese Veränderungen haben sich offenbar während ihrer Zeit im Mutterleib ergeben. Craig zufolge müssen sie »auf Ereignisse zurückzuführen sein, die einem Zwilling geschehen sind und dem anderen nicht«. Demnach hat die Umwelt schon im Mutterleib einen starken Einfluss darauf, welche seiner Gene ein Mensch bevorzugt nutzt und welche er eher stilllegt.
Die Umwelt? Ist die bei eineiigen Zwillingen im Mutterleib nicht de facto identisch? Nein, meint der Forscher: »Sie haben eine eigene Nabelschnur, die sie womöglich mit leicht unterschiedlichzusammengesetztem Blut versorgt, und in mehr als 95 Prozent der Fälle haben sie auch eine eigene Fruchtblase.« Außerdem liegt einer der Zwillinge vielleicht näher am Herzen, der andere womöglich weiter vorn im Bauch. Ihre Umgebung ist also durchaus individuell.
Das epigenetische Muster des Traumas
Wenn sich schon ein etwas weiter entfernter Herzschlag der Mutter und so harmlose kleine Dinge wie ein 20-minütiges Fahrradtraining im Erbgut erkennen lassen: Wie groß mögen dann erst die Veränderungen an der DNA nach einem erlebten Trauma oder einer körperlichen Verletzung sein? »Wahnsinnig groß«, sagt der kanadische Neurologe Gustavo Turecki. Er hat das Erbgut von insgesamt 41 Männern aus Quebec auf das Methylierungsmuster hin untersucht. 25 dieser Testpersonen hatten in ihrer Kindheit schwere Misshandlungen ertragen müssen, die übrigen 16 hatten eine normale Jugend verlebt. Dabei zeigte sich: Die Schläge wurden den misshandelten Kindern gleichsam ins Erbgut eingeprügelt.
Bei den Misshandlungsopfern fanden sich charakteristische Methylierungen an sage und schreibe 362 Genen. 248 von ihnen waren stärker methyliert als die der Kontrollpersonen, der Rest schwächer. Am deutlichsten war der Unterschied beim Gen Alsin (ALS2), welches in Nervenzellen des Hippocampus vorkommt und für die Veränderlichkeit des Gehirns mitverantwortlich ist. Es ist, so Turecki, mit Verhaltensänderungen hin zur Ängstlichkeit verbunden.
»Epigenetische Mechanismen können kurzfristige Antworten auf Stress sein – und Stunden dauern. Sie können aber auch Monate anhalten, Jahre oder sogar ein Leben lang«, sagt der Neuropsychopharmakologe Eric Nestler. Wie lange eine epigenetische Veränderung erhalten bleibt und woran es liegt, wann und ob sie wieder abgebaut wird, ist derzeit Gegenstand intensiver Forschungen. Offenbar sind gerade jene epigenetischen Markierungen von Dauer, die während der frühen Kindheit am Erbgut angebracht werden. So hinterlassen Traumata in jungem Alter besonders tiefe Spuren in den Erbanlagen derGehirnzellen, weil sie zu einem Zeitpunkt stattfinden, zu dem die Hirnentwicklung noch in vollem Gange ist. Auf viele dieser epigenetischen Veränderungen scheint es später keinen Zugriff mehr zu geben. Andere Markierungen dagegen, wie die Methylierung an den Muskelzellen durch Sport, werden offenbar ständig an- und abgebaut.
Eric Nestler ist einer der Begründer der genetischen Psychiatrie. Mit seinen Studien an Nagetieren hat er zahlreiche molekulare Erklärungen für psychiatrische Krankheiten geliefert und auch Verständnis geweckt für die biochemischen Mechanismen, die etwa hinter Depressionen stecken.
Dass die Krankheiten der Seele nicht nur durch die Gene beeinflusst werden, sondern auch durch epigenetische Prozesse, konnte als Erster Michael Meaney mit seinen Rattenversuchen zeigen. Ihn interessierte, welcher Mechanismus dahintersteckte, wenn die gehätschelten Jungen plötzlich eine gesteigerte Zahl an Andockstellen für das Stresshormon Cortisol bildeten. Tatsächlich war es reine Epigenetik: Gemeinsam mit dem Molekulargenetiker Moshe Szyf wies Meaney nach, dass die Gene für die Cortisol-Andockstellen bei den vernachlässigten Tieren stärker methyliert waren.
Doch damit waren Meaney und Szyf ihrer Zeit zu weit voraus. Methylierungen an der DNA als Folge von zu wenig Kuscheln? Das konnten Wissenschaftler-Kollegen aus aller Welt Anfang des Jahrtausends gar nicht glauben. Damals herrschte noch die Ansicht vor, Meythlierungen im Erbgut seien von Dauer. Dass sie durch Umwelteinflüsse wie die liebevolle Pflege einer Mutter verändert werden konnten,
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