Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Resteklicken

Resteklicken

Titel: Resteklicken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Meschner Moritz
Vom Netzwerk:
weiß ja nicht mal, wo der Zollstock ist. Oder was ich ÜBERHAUPT hätte ausmessen sollen. Die Breite? Die Schräge? Das Volumen? Da könnte mich mein Vater auch gleich fragen, ob ich Uran anreichern kann.
    » HAST du die Wand nun ausgemessen?«
    »Sind Spiegelschränke denn nicht alle genormt?«
    Er guckt mich an, als wäre ich eine Frau.
    »So ein Quatsch! Die sind alle völlig unterschiedlich. Hach, ich hätte wissen müssen, dass man sich nicht auf dich verlassen kann.«
    »Ach, Dietmar, nun sei doch nicht so«, versucht meine Mutter ihn zu beschwichtigen.
    »Immer dasselbe«, flucht mein Vater.
    »Lasst uns doch erst mal gucken«, sagt Mama.
    Lasst mich doch erst mal sterben , denke ich. Ich sitze zwischen glücklichen Einkaufgehfamilien, habe einen schlimmen Kater und so viel Interesse an einem Spiegelschränkchen wie an Hodenkrebs. Mein Vater fängt an zu schmollen und meine Mutter macht daraufhin gleich mal eine Übersprungshandlung und holt völlig unvermittelt einen kleinen Katalog aus ihrer Handtasche, den sie mir unter die Nase hält.
    »Guck mal, Moritz, da wollte ich mir was Schönes draus bestellen. Was würde DIR denn gefallen?«
    Ich bekomme schon vom Anblick der Titelseite kalten Handschweiß und Herzrhythmusstörungen. Wieder einer von Mamas Nippes-Katalogen!
    Meine Mutter ist die Königin des Kitsches. Sie sammelt so ziemlich alles, was auch nur annähernd nach geschmack­los aussieht. Je winziger, filigraner und dementsprechend von einem Kleinkind verschluckbarer, desto besser. Sie hat ganze Setzkästen voll verzierter Mini-Vasen, mundgeblasenem Glaszeugs und drollig dreinschauenden Gipsbärchen, die nur darauf warten, von einem versehentlich gelegten Feuer meines Vaters in die Gipsbärchenhölle befördert zu werden.
    Der Kataloginhalt, den mir meine Mutter heute zeigt, ist schon fast pathologisch kitschig. Das sind alles irgendwie kleine Modelle von großen Modellen oder sonst irgendwelche Anfertigungen, man kann das gar nicht richtig in Worte fassen, auf jeden Fall verleihen die dem Begriff »Klimbim« eine ganz neue Dimension. Das Produkt, das meiner Mutter garantiert gefallen wird, ist der »Roman­tische Zaubergarten«, kreiert von einem gewissen Barry Shiraishi. Hierbei soll es sich um ein »exquisites Phantasie-Ei« handeln, das »von der königlichen englischen Gesellschaft der Miniaturmaler, -skulpteure und -graveure präsentiert wird« und welches »im Innern eine kunstvolle Gartenszene mit einem romantischen Einhorn«(!) zeigt. Nach kurzer Überlegung gelange ich zu der Auffassung, dass der »Romantische Zaubergarten« nichts anderes als ein zu Scheiße erstarrter Alptraum von Ricarda M ist, in den ein Irrer ein weißes Miniaturpferd mit goldenem Horn gepuzzelt hat. Also genau das Richtige für meine Mutter. Doch noch bevor ich ihr meine Bestellempfehlung geben kann, nervt mein Vater auch schon wieder.
    »So, dann gucken wir jetzt mal nach deinem Spiegelschränkchen. OBWOHL du nicht ausgemessen hast!«
    Wir stehen auf und orientieren uns in Richtung Badezimmermöbel.
    Von meinem Salat habe ich nur die Tomate gegessen.
    Wenn meine Mutter die »Königin des Kitsches« ist, dann gebührt meinem Vater der Titel »Unoriginellster Badezimmereinrichter der Welt«. Geschmackstechnisch ist er irgendwo in den Achtzigern stehen geblieben.
    Es ist ja nett von ihm, dass er mir außer dem Spiegelschränkchen noch weiteres Mobiliar für mein Bad kaufen und bezahlen möchte. Weniger nett ist allerdings, dass er da nur Dinge im Kopf hat, die aus Glas und Chrom bestehen.
    Wenn mir nicht sowieso alles egal wäre, dann würde ich ihm die Worte »Glas und Chrom ist Alte-Herren-Scheiße« entgegenfauchen. DA mir aber alles egal ist, lasse ich ihn machen und habe nach einer Viertelstunde einen verchromten Handtuchhalter, einen Glas-Chrom-Unterstelltisch und eine rechteckige Glasplatte im Einkaufs­wagen, von der nicht mal mein Vater genau weiß, wo die eigentlich hin soll.
    Nur das Spiegelschränkchen fehlt noch.
    »Hier, das sieht doch ganz schick aus.«
    »Supi«, sage ich leise.
    »Das ist sechzig mal achtundvierzig. Müsste eigentlich überall hinpassen.«
    Gott sei Dank, wir haben es geschafft! Zumindest habe ich das Gefühl, dass wir auf der Zielgeraden sind.
    »Wenn du ausgemessen hättest, wüssten wir es genau. Aber so …«
    Er nimmt das Schränkchen vom Boden, hebt es direkt vor sein Gesicht und dreht es vorsichtig in alle möglichen Richtungen. Keine Ahnung, wie er so rausfinden will, ob es an

Weitere Kostenlose Bücher