Resteklicken
meinen Wandvorsprung passt. Aber mein Vater ist eben ein Experte.
»Sechzig mal achtundvierzig«, murmelt er vor sich hin. »Achtundvierzig breit. Mensch, Junge, wenn du ausgemessen hättest, dann …«
Jaja, ich habe verstanden! Ich hätte ausmessen und dir einen kleinen Zettel mit irgendwelchen unwichtigen Zahlen mitbringen sollen! Hab ich aber nicht! Was willst du jetzt tun? Mich verchromen?
»Das passt schon«, sage ich.
»DU weißt ja immer Bescheid, Moritz! DU weißt alles, ne?«
»Ich mein ja nur.«
»Nun sei doch nicht so, Dietmar«, versucht meine Mutter die Situation gleich wieder zu entschärfen.
»Ach, is doch wahr, Marianne. Dein Sohn will mir hier erzählen, was passt und was nicht. DER Junge soll erst mal selbst klarkommen! STUDIEREN tut er! STUDIEREN ! Seit Jahren schon! Wann sehen wir denn mal Ergebnisse, Moritz, hä? ERGEBNISSE ?!«
»Ganz sicher bin ich mir da nicht«, beginne ich, »aber ich würde mal tippen auf: WENN DIE HÖLLE ZUFRIERT !!!«
Sofort bekommt mein Vater einen hochroten Kopf.
»Wie REDEST du denn mit mir?!«
»Ach, Dietmar, nun streitet euch doch nicht. Moritz geht’s nicht gut wegen Steffi.«
» MIR GEHT ES AUSGEZEICHNET !!!«
»Ja, auch so ’ ne Sache mit deiner Freundin, … entschuldige, Exfreundin! Wieder mal eine weggelaufen. Das ist doch typisch für dich!«
»Dietmar, nu lass doch.«
» SIE IST NICHT WEGGELAUFEN, SIE IST NUR …«
Plötzlich fehlen mir die Worte. Natürlich hat mein Vater recht. Mit so ziemlich allem, was er sagt. Ich muss mir kurz auf die Zunge beißen, um die aufsteigenden Tränen zu unterdrücken. Bringt aber nichts. Im Gegenteil. Wie konnte ich Idiot auch nur auf die Idee kommen, dass Auf-die-Zunge-Beißen in so einer Situation das Richtige wäre.
»Ja. Sie ist … weggelaufen. … Ja. … Weggelaufen. Vor mir. Vor eurem tollen Versager-Sohn.«
»Ach, Moritz«, sagt meine Mutter und streichelt mir ein bisschen unbeholfen über den Kopf. »Das wird schon wieder.«
Dann gibt mir mein Vater einen kurzen Klaps auf die Schulter und setzt einen betont freundschaftlichen Blick auf.
»Andere Mütter haben auch schöne Töchter.«
Mag sein.
Aber bestimmt auch coolere Söhne.
Als ich am Nachmittag endlich wieder in meinem versifften Flur stehe, lasse ich ganz einfach die Kartons mit dem neuen Badezimmerinventar auf den Boden schep pern und gehe in die Küche. Was für ein Tag! Ich bin stark unterhopft und mache mir erst mal ein Bier auf. Nach einem großen Schluck und dann noch einem starre ich auf die Kartons, die jetzt auf meinem siffigen Flurboden kleben. Zum Glück konnte ich meine Eltern davon überzeugen, dass ich das ganze Zeugs selbst anbringen würde. Ich war jedenfalls schnell durch die Haustür verschwunden, als mein Vater mir etwas anbot, das wie »Ich kann auch noch schnell mit hoch und das aufbauen!« klang. »Nein, nein, ich krieg das schon hin«, rief ich, aber da war die Tür schon zu.
Natürlich kriege ich das nicht hin. Ich wollte mal ein Loch in die Wand bohren, um ein Bild aufzuhängen. Aus dem Loch wurden zwölf. In unterschiedlichen Größen und Formen. Eins sogar mit Rissen drum rum. Und der Dübel hat in original KEINS der Löcher gepasst!
Mann, bin ich ein mieser Heimwerker.
Mann, gehen mir meine Eltern momentan auf den Zeiger.
Mann, hasse ich es, dass Steffi glücklich ist.
Ich spüle meinen Frust mit einem weiteren Bierchen runter, schalte meinen Computer ein und gehe zu Facebook.
Wenigstens an der Freundschaftsfront geht es voran! Sieben neue Freunde sind dazugekommen. Drei davon kenne ich tatsächlich.
Egal, zumindest bin ich jetzt schon bei 213 Freunden. Nur noch etwas mehr als achtzig von meinem großen Ziel entfernt. Der magischen Dreihundert!
Ich habe neulich mal irgendwo im Internet gelesen, dass Facebook-Nutzer mit mehr als zweihundert Freunden eine soziale Störung hätten, da man im wahren Leben niemals so viele wirklich gute Freunde vorweisen könne. Die Professorin, die das geschrieben hat, habe ich sofort bei Facebook gesucht, und – siehe da – sie hatte nur 102 Freunde! Um dieses unangenehme Gefühl zu kompensieren, hat sie wohl so einen Stuss veröffentlicht. Und um SIE wiederum aus ihrem virtuellen Elend herauszuholen, habe ich sie direkt als Freundin angefragt. Bestätigt hat sie bislang allerdings nicht.
ICH jedenfalls werde bis zum Jahresende dreihundert Facebook-Freunde haben und mich somit als vollwertiges Mitglied der Gesellschaft fühlen können, soziale Störung hin oder
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