Resteklicken
biegt.
»Wieso? Wie sehe ich denn aus?«
»Ach, eigentlich ganz süß. Verschlafen eben.«
Verstorben wäre der korrektere Begriff.
»Wo warst du?«, frage ich.
»Das weißt du.«
»Die ganze Nacht?!«
»Wir haben nur geredet.«
Steffi küsst mich auf die Wange.
»So, und jetzt würde ich ganz gerne frühstücken. Ich habe Hunger.«
Ich nicht so.
»Eier sind noch im Kühlschrank. Du müsstest nur Brötchen und ein bisschen Aufschnitt holen.«
»Ich?!«
»Ja. Dann kann ich in der Zwischenzeit mal duschen. Ach, übrigens … du kannst jetzt wieder auf mein Profil.«
»Was?«
»Du kannst wieder auf mein Facebook-Profil. Ich habe die Sperrung aufgehoben.«
»Wusste gar nicht, dass es überhaupt gesperrt war«, lüge ich.
»Na ja. Jedenfalls geht es wieder. Und nicht vergessen, Brötchen und Aufschnitt. Du weißt ja, was ich mag.«
Einkaufen stellt für mich in der derzeitigen Verfassung eine größere Herausforderung dar, als das Tragen des Rings zum Schicksalsberg für Frodo. Ich muss wieder ins Bett. Und ich benötige elbische Arznei.
Stattdessen nehme ich meine Jacke und gehe runter zum Supermarkt.
Es ist immer noch bewölkt, aber es hat aufgehört zu regnen.
Während ich die Straße entlanglaufe und mit einem heftigen Schluckauf kämpfe, danke ich immer wieder dem Erfinder der kühlen Brise dafür, dass sich mein Kopf ein bisschen leichter anfühlt, wenn ihm etwas Frisches entgegenweht.
Wir haben Ende Oktober, und ich bin verwirrt. Wieder mal und immer noch.
Was in den letzten achtundvierzig Stunden passiert ist, entbehrt so ziemlich jeder Logik. Dieses Hin und Her und Auf und Ab, und dass ich dann auch noch bei Steffi im Bett geschlafen habe, und sie aber nicht da war.
Ich glaube, ich brauche erst mal ein Bier, um das alles nüchtern zu verarbeiten.
Als ich am Schaufenster von Reichelt vorbeikomme, erkenne ich mein Spiegelbild zunächst nicht wirklich. DAS also meinte Steffi eben! Mein Gesicht gibt es jetzt auch als Scherzartikel. Meine Augen sind rot, die Wangen haben sich über die letzten Tage ins Dunkelblaue verfärbt, und die Zähne stechen in diesem matten Licht gelblich hervor. Ich sehe aus wie die Nationalflagge von Armenien.
Drinnen bei Reichelt ist es sogar noch ein Stückchen kühler als draußen, und das gefällt mir. Ich nehme ein rotes Körbchen vom Stapel und mache mich auf den Weg zur Backstation. Dort steht eine tausendjährige Oma direkt vor dem Fach mit meinen Lieblingsbrötchen und versucht per Greifzange ein Rusti-Kraftprotz herauszufriemeln, sorgsamer und mit größerem Respekt, als ein Kind beim Kleingartenkoloniefest das Metallstäbchen um einen elektrischen Brummdraht führt.
»Hallo? Wird das heute noch mal was?«
Ich hätte sie nicht ansprechen sollen, denn schon ist ihr Brötchen wieder ins Plexiglasfach gefallen.
Brummdraht-Versuch Nummer zwei geht ebenfalls schief.
»Soll ich Ihnen helfen?«
»Lassen Sie mich in Ruhe, oder ich rufe die Polizei!«
Da ist man schon mal freundlich und dann so was! Was für eine alte Mist-Eule!
»Sind Sie sich überhaupt sicher, dass Sie ein Rusti-Kraftprotz haben wollen? Und kein normales Weißmehlbrötchen?«
Und wieder hätte ich meine dumme Fresse halten und den natürlichen Lauf der Dinge abwarten sollen, der die Brummdraht-Omi entweder in eine maßgerecht ausgeschaufelte Erdkuhle oder aber wenigstens das Rusti-Kraftprotz in die dafür vorgeschriebene Papiertüte befördert hätte. Das kleine protzige Mehrkorngebäck plumpst erneut zurück zu seinen Kameraden.
»Oh, Mann! Soll ICH es Ihnen nicht lieber rausholen?«
» SIE HOLEN HIER GAR NICHTS RAUS !«, dreht sich Brummdraht-Omi mit blitzenden Augen zu mir um. » SOLCHE VANDALEN WIE SIE GEHÖREN WEGGESPERRT !«
»Sind Sie geistesgestört?«, versuche ich zu kontern, aber da hat sie mir schon mit einem ihrer graubraunen Rentnerschuhe gegen das rechte Knie getreten.
»Aua!«
Die Brummdraht-Omi hat die Reflexe und das Know-How von Karate Kids altem Lehrmeister Mister Myagi. Und sie verteidigt die Ehre aller ins Plexiglasfach zurückgefallenen Rusti-Kraftprotze mit myagischer Härte.
Gerade als ich etwas entgegnen will, springt eine bis dato völlig unbeteiligte Reichelt-Frau aus der Obstabteilung mit wehendem weißen Kittel herbei und stellt sich schützend vor sie.
»Was ist denn hier los?!«
» ER HAT MICH SEXUELL BELÄSTIGT !«, kreischt Brummdraht-Omi.
» GAR NICHT !«, kreische ich zurück. » SIE hat mir gegens Knie getreten!«
Eine aussichtslose
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