Resturlaub
ich gleich jetzt losfahren, um den Heizpilz zu kaufen, damit wir im Herbst länger draußen sitzen könnten.
Ich klicke auf »Senden«, schließe die Augen und versuche alles zu vergessen, was ich eben gelesen und geschrieben habe. Denn eigentlich hatte ich nicht vor, im Herbst mit Biene länger draußen zu sitzen.
Abuela
ES GIBT FALSCHE CAFES und richtige Cafes. In falschen Cafes z. B. ist der Gratis-Keks immer eingeschweißt, man wird von schnoddrigen Studentinnen bedient und im Hintergrund läuft irgendeine Radiostation. Nicht so in richtigen Cafes. Dort bekommt man seinen Kaffee so serviert wie in den Zeiten, in denen es noch etwas Besonderes war, Kaffee zu trinken: auf einem ovalen Silbertablettchen mit einem Kännchen Milch, einer Schale Kandiszucker und einem kleinen Glas Wasser. In richtigen Cafes arbeiten zudem richtige Kellner, mit einem weißen Tuch über dem linken Arm, und niemals würde man in einem richtigen Cafe auf die Idee kommen, die Gäste mit einer banalen Radiostation zu beschallen.
Das Tortoni in der Avenida de Mayo ist ein richtiges Cafe. Ich sitze an einem runden Marmortisch neben einer roten Steinsäule und lasse zu wehmütiger Tangomusik die Atmosphäre dieses ehrwürdigen Raumes auf mich wirken. Offenbar hatte man bereits im 19. Jahrhundert keine wirkliche Vorliebe für Tageslicht, das Verhältnis Menschen zu Fenstern liegt bei geschätzten 100 zu 1. Ich entdecke viele Touristen, ein französisches Ehepaar schaut schon seit einer Weile abwechselnd in seinen Stadtführer und ins Cafe, als wolle es sich vergewissern, dass es wirklich in Buenos Aires sitzt und nicht in Paris. Auch ich habe meinen Stadtführer dabei, aber natürlich denke ich nicht im Traum daran, ihn herauszunehmen, denn dann wäre ich ja mit einem Schlag und für alle erkenntlich Tourist. Da ich die von Abuela angekündigte rote Bluse nirgendwo entdecken kann, bestelle ich mir eine heiße Schokolade und blättere in der Speisekarte. Ich bin ein wenig aufgeregt, wen ich mir da aus meinem argentinischen Handyspeicher ins Cafe gesimst habe. Abuela, der Name gefällt mir und mit ein wenig Glück gehört er einer hübschen jungen Frau, die mich ein wenig herumführt in der neuen Stadt.
Das Einzige, was mir ein wenig Sorgen macht, ist die übrige Klientel des Cafes. Die Gäste sind entweder argentinische Senioren oder schlecht gekleidete Touristen. Bei einer älteren Dame am Nachbartisch bin ich mir nicht so sicher, ob sie Touristin ist oder eine portena: Ihr gegerbtes, von einem goldfarbenen Hut umrandetes Gesicht und die große Brille gehen eindeutig in Richtung Argentinierin. Die mit roten Melonenscheiben bedruckte Bluse könnte dann allerdings wieder ein Hinweis auf eine Verwandtschaft mit Schwaben-Heidi sein. Als die Goldhut-Seniorin bemerkt, dass ich sie anschaue, lächelt sie und ich lächle kurz zurück. Ich denke mir nichts Großes dabei. Doch nur einen Augenblick später erhebt sie sich, nimmt ihre Jacke in die linke und ihr Kaffeetablettchen in die rechte Hand und nähert sich augenzwinkernd meinem Tisch.
Oh Gott! Nicht, dass ich aus Versehen in eine argentinische 70plus-Single-Party geraten bin und soeben ein unmissverständliches Signal in den Raum gesendet habe! Und dann bemerke ich, dass man bei all den roten Melonenaufdrucken durchaus von einer roten Bluse sprechen könnte, dem Erkennungszeichen von Abuela!
Panik steigt in mir auf. Dennoch gelingt es mir irgendwie zu lächeln.
»^Tu eres Peter?«, fragte mich der Melonen-Goldhut.
»Si«, kiekse ich. »Peter Greulich!«
»Pues gracias por su mensaje! Me llamo Susanna, soy la abuela de Pedro. Puedo sentarme?«
»Abuela?«
»Si, abuela. En ingles seria ... Grandmother!?!.«
Abuela. Grandmother. Oma.
Abuela ist kein Mädchenname.
Abuela ist spanisch und heißt Oma.
Und während sich die dreißig Melonenscheiben mit Hut neben mich setzen, fällt nicht nur ein Groschen, sondern so viele, als würde man gleichzeitig zehn einarmige Banditen in Las Vegas leer räumen.
Ich habe mich mit Pedros Oma verabredet!
»iNo tenias la menor idea con quien te ibas a encontrar?«, lacht der Melonen-Goldhut und ich brauche ein paar Sekunden, um den Satz zu entschlüsseln. Ob ich gewusst hätte, mit wem ich mich verabredet habe. Höchst irritiert schüttele ich den Kopf und schaue dabei ungefähr so paralysiert wie eine Katze, auf die ein wohnblockgroßes Wollknäuel zurollt.
Der Abend wird zur längsten Spanischstunde meines Lebens. Pedros Oma erzählt und erzählt und
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