Resturlaub
bin.
»Des alde Rathaus!«, ruft Keks und deutet auf den Fernseher. Stimmt. Das alte Rathaus. Ich bin vor ein paar Tagen noch dran vorbeigelaufen. Mit wahrscheinlich ziemlich schlecht gespielter Bewunderung sage ich: »Wirklich schön und wie das da mitten im Fluss steht! Unglaublich!«
»Weil die Kirche keinen Baugrund rausrücken wollte für das Rathaus!«
»Ist ja interessant!«
Vielleicht gibt es ja irgendeine höfliche Möglichkeit, die DVD zu stoppen oder aus dem Zimmer zu kommen. Einschlafen vielleicht, Nasenbluten oder noch mal ein vorgetäuschter Überfall? Als ich mich kurz zur Tür umdrehe, tippt Keks mich an.
»Schau. Die hübschen Häuser am Fluss, das ist KleinVenedig, da haben früher Kaufleute drin gewohnt.«
»Fischer«, sage ich.
»Was?«
»Da haben Fischer drin gewohnt, keine Kaufleute!«
»Woher weißt du das denn?«
»Denk ich mir nur so, weil die Häuser am Fluss stehen«, rede ich mich raus.
»Wenn Sandkerwa ist, dann sind da die ganzen Bierstände und die Häuschen beleuchtet, des ist echt schön!«
Ich schlucke, weil ich an Biene denken muss und an den Abend, an dem Arne und ich rotzbesoffen an ihren Bierstand kamen, um sie auf Knien anzuflehen, noch zwei Krüge rauszurücken.
»Willst du gar nicht wissen, was die Sandkerwa ist?«
»Was?«
Keks schubst mich von der Seite.
»Ob du gar nicht wissen willst, was die Sandkerwa ist?«
»Was ist die Sandkerwa?«
»Des schönste Bierfest von ganz Deutschland! Im August geht's wieder los und . na ja . zum ersten Mal ohne mich!«
»Very beautiful the town!«
Ich drehe mich zu Pedro, der inzwischen aufgewacht ist und unter seiner Decke mit einem Auge zum Fernseher schielt.
»jEn absoluto!« stimmt Keks ihm zu. Sogar Taxi scheint auf den Fernseher zu schielen.
Pedro zieht sich langsam in eine aufrechtere Position und zupft seine Decke zurecht. Mit einem empörten Miau springt Taxi vom Schoß und verlässt schmollend das Wohnzimmer.
»The little town ... is it nicer than Berlin?«
»No«, sage ich.
»jjjSiiiiiiiiii!!!«, protestiert Keks und knufft mich in die Seite.
Pedro kapituliert.
»I go to bed! I have three tigres to cut tomorrow!«
Pedro steht auf, faltet die Decke zusammen und schlurft energielos zu seiner Zimmertür. Er ist schon fast drinnen, da dreht er sich im Columbo-Stil noch einmal kurz um.
»The Ice Age DVD, you can watch if you want ...«
»No, thank you!«, sagen wir gleichzeitig und müssen lachen.
»It's a good movie!«, entgegnet Pedro ein wenig angefasst und verschwindet mit einem genuschelten »Buenas noches« in seinem Zimmer.
»Ich glaube, ich geh auch mal«, sage ich und stelle meine leere Bierdose auf den Tisch. Keks hält meinen Arm fest.
»Nein, bleib da! Du musst mir noch was über Berlin erzählen!«
»Morgen erzähl ich dir was!«, lache ich und schiele auf die Uhr, »ist ja schon fast drei!«
»Es ist Freitag. Wir sind in Buenos Aires. Drei Uhr ist doch keine Zeit!«
»Na ja . trotzdem . ich muss ja morgen auch früh raus .«
Kichernd krabbelt Keks auf meinen Schoß und nimmt meine Hände. Nicht gerade die Position, in der sich normale WG-Bewohner über den Putzplan unterhalten. Ich fühle mich ein wenig in die Enge getrieben.
»Erzähl was von Berlin«, lacht Keks und zieht an meinen Händen. »Wie isses da so? Die Leute, die Kneipen, Clubs .«
»Berlin«, sage ich, »ist ziemlich groß und . ziemlich weit weg!«
»Spinner!«, lacht Keks und kommt mir so nahe, dass ich ihren Atem spüren kann. Und als der Sprecher der Bamberg-Doku gerade die besondere Symmetrie des herrlichen Rosengartens erwähnt, berühren sich unsere Lippen. Es ist kein Gutenachtkuss, den Keks mir da geben will, doch ein lauter Schmatz meinerseits macht ihn zu einem.
»Ich, also .« stottere ich, »ich hab eine Freundin!« »Oh«, sagt Keks und steigt ernüchtert von meinem Schoß. »Ich dachte, weil du gesagt hast, das war deine Ex am Telefon!«
»Tut mir Leid«, sage ich, »da hab ich mich . das war, ich hab mich blöd ausgedrückt.«
»Okay!« Und mit einem betont gleichgültigen »Dann schlafen wir mal« verschwindet Keks in ihrem Zimmer.
Ich liege noch lange wach auf meinem Boca-Juniors-Bezug und fast bin ich ein wenig stolz, dass ich Keks nicht geküsst habe. Ich schreibe eine Kurzmitteilung an Arne und bitte ihn, den Heizpilz bei Obi für Biene und mich zu besorgen. Ich bin schon fast eingeschlafen, da beginnt ein schmerzhafter Zweifel an meinem Stolz zu nagen. Ich hätte Keks ruhig küssen dürfen.
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