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Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne de Pierres
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zusammen, als hätte er etwas Bitteres verschluckt. »Ich finde das, was sie tun, furchtbar. Mein Vater hat mich zu den Ratssitzungen mitgenommen, um mich vorzubereiten – all diese gruseligen alten Männer mit den Perücken und Masken. Wie sie die Regeln bestimmen. Anderen das Leben zur Qual machen. Ihnen sagen, was sie zu tun und zu lassen haben. Was sie denken müssen.«
    »Still«, flüsterte Retra automatisch. »Red nicht so von ihnen.«
    Ihr war, als würde ihr die Luft aus der Lunge gedrückt, als sie daran zurückdachte, wie sich die Elektroaugen des Rates mit einem Klicken auf ihren nackten Körper gerichtet hatten.
    »Warum? Hier können sie uns doch nichts anhaben …« Rollo verstummte, als er auf einmal verstand. »Du bist auf Bewährung, oder?«
    In einer unwillkürlichen Bewegung verschränkte Retra die Arme vor der Brust.
    »Siehst du. Jetzt verstehst du mich. Deswegen will ich keiner von ihnen werden. Sie haben kein Recht, so etwas zu tun. Kein Recht!«, rief er.
    Retra wünschte, er würde weggehen. Seine Heftigkeit und sein unvorsichtiges Gerede machten ihr Angst. Er schien sich vor niemandem zu fürchten, was sie dumm von ihm fand. Da war er wie Joel. So selbstsicher und überzeugt von dem, was er dachte. Warum kann ich nicht so sein? Warum muss ich immer so viel nachdenken, warum bin ich so zaghaft?
    Dann dachte sie daran, wie sie Brand angegriffen hatte. Da hatte sie sich von ihrer Wut hinreißen lassen. Vielleicht war sie ja doch nicht so viel anders als Joel? Vielleicht war sie dabei sich zu ändern? »Ich habe einen Riper geschlagen«, sagte sie zu ihm. »Sie hat ein Mädchen namens Krista-belle unsittlich berührt, und ich … ich habe einen Hocker genommen und …«
    Rollos Augen wurden groß. »Du bist die, die die Riper-Frau mit dem Stuhl niedergeschlagen hat? Darüber wird überall geredet, aber ich hatte es nicht geglaubt. Was ist passiert?«
    »Lenoir ist gekommen und hat Brand aufgehalten, bevor sie mich bestrafen konnte. Aber ich glaube nicht, dass es damit vorbei ist. Modai sagte vorhin, wegen mir gäbe es jetzt Streit zwischen ihnen.«
    »Warum hast du dich eingemischt? Das sieht einem Seal gar nicht ähnlich.«
    »Ich … was Brand mit Krista-belle gemacht hat … sie hatte Angst … genauso wie ich, als der Aufseher den Gehorsamkeitsstreifen an mir befestigt hat.«
    »Du hattest einen Schmerzstreifen? Scheiße! Wie konntest du dann die Anlage verlassen?«
    Retra schenkte ihm ein zaghaftes Lächeln. »Ich habe geübt. Den Schmerz auszuhalten.«
    Rollos Gesichtsausdruck änderte sich. Seine Augen weiteten sich bewundernd, und dann umarmte er sie, als wollte er sie trösten.
    Aber Retra wollte keinen Trost. Sie wollte jetzt gehen.
    Doch als sie versuchte, sich seinem Griff vorsichtig zu entziehen, hielt er sie fest. »Ich werde dir jetzt etwas anvertrauen. Den wahren Grund, warum ich hergekommen bin«, sagte er.
    »Den wahren Grund?«
    »Du darfst es niemandem sagen. Noch nicht. Nicht, bis ich es dir erlaube. Versprich das.«
    Sie nickte, wenngleich zögerlich, weil sie gar nicht wusste, ob sie Rollos Geheimnisse wirklich wissen wollte.
    »Als ich die Ratssitzungen besucht habe, hab ich einiges mitbekommen. Ich habe zugehört, was sie so geredet haben. Die meiste Zeit reden sie mit lauten, irgendwie leeren Stimmen, nur nicht, wenn sie etwas wirklich wollen, dann klingen sie anders. Immer, wenn sie von Ixion gesprochen haben – wie verkommen der Ort wäre und was sie tun könnten, damit wir nicht mehr hierherkämen –, waren ihre Stimmen laut und leer. Zuerst habe ich mir nichts dabei gedacht. Aber dann, eines Abends, als mein Vater und ich zusammen mit den Ratsherren Jarvis und Mison nach Hause gingen, rief sie jemand aus dem Dunkeln an. Mein Vater schickte mich schnell weg, aber ich sah noch, wer es war.«
    Retra wartete.
    Rollos Blick wurde so eindringlich, als wollte er die Erinnerung mit aller Macht vor ihren Augen zum Leben erwecken. »Es war ein Riper. Zumindest glaubte ich, dass es einer war. Also musste ich herkommen, um mich zu vergewissern.«
    »Das kann nicht sein.«
    »Doch, es ist wahr! Ich habe Modai dort gesehen«, sagte er hitzig. »Und jetzt weiß ich auch, dass die Leere in den Stimmen der Räte echt war. Sie tun nur so, als würden sie sich über Ixion ärgern – aber das tun sie gar nicht, nicht wirklich. Ist alles bloß Theater.«
    »Was meinst du damit – Theater?«
    »Ich weiß nicht, aber ich bin hier, um rauszufinden, was die Riper in Grave zu suchen

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