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Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne de Pierres
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Name ist Cal«, sagte Retra. »Dreh dich nicht um.«
    Sie eilten über den Pfad zurück zur Station. Dieses Mal sprach nichts aus der Dunkelheit zu Retra. Doch trotz der klebrigen Wärme schauderte sie, als sie in die Gondel einstiegen.
    »Was ist?«, fragte Suki, als sie auf einer der hinteren Bänke Platz nahmen.
    Retra antwortete nicht, obwohl Suki jetzt wieder ganz normal redete und sich nicht mehr kratzte.
    »Hör zu«, sagte Suki nach einer Weile. »Freunde sprechen miteinander. Das macht man einfach so. Man vertraut sich Dinge an.«
    Retra leckte sich über die Lippen, überwand sich und sagte: »Ist das so?«
    »Hast du denn noch nie einen Freund gehabt?«
    Retra starrte aus dem Fenster. Joel war ihr Freund. Zählte das? Und Toola war ihre Freundin gewesen, wenngleich nur für kurze Zeit, auch wenn Retra wusste, dass ihr eigentliches Interesse Joel gegolten hatte.
    Aber Suki ließ nicht locker. »Du hast wirklich noch nie einen Freund gehabt? Das ist unmöglich.«
    »Da war mal ein Mädchen, Toola, aber nachdem mein Bruder gegangen und der Aufseher bei uns eingezogen war, hat sie aufgehört …«
    »Was? Deine Freundin zu sein?« Suki runzelte die Stirn. »Ich verstehe die Welt, in der du lebst, zwar nicht richtig, aber nicht alle aus Grave sind so verschlossen wie du. Sieh dir nur Rollo an. Er ist nicht so. Wie ist es da?«
    Retra lehnte sich zurück. Bisher hatte sie nur für sich allein über ihre Welt nachgedacht, aber nie mit jemand anderem darüber gesprochen. Vielleicht konnte sie es ja mit Suki … Der Rat wird mich jetzt nicht hören , rief sie sich in Erinnerung. Der Aufseher ist nicht in der Lage, Hand an mich zu legen.
    »In Seal Süd geht es strenger zu als im Rest von Grave. Uns es ist nicht erlaubt, nach eigenem Belieben mit anderen zu reden. Nur zu bestimmten Zeiten.«
    »Das ist ja völlig bekloppt«, sagte Suki.
    »Wir haben gelernt, dass unsere Ältesten die alte Welt verlassen haben, um einen neuen Ort mit höheren moralischen Werten zu finden. Die alte Welt war verdorben und kannte keine Regeln mehr. Die Jugendlichen waren lasterhaft, selbstsüchtig und selbstzerstörerisch. Die Ältesten nannten ihr Betragen eine Krankheit.« Während sie sprach, kam die Erinnerung an das zurück, was sie im Geschichtsunterricht gelernt hatte. »Sie segelten durch die Sterne, auf der Suche nach dem richtigen Ort für einen Neuanfang, aber ihr Schiff hatte eine Panne, und so waren sie gezwungen, ihre neue Heimat in unserer Welt zu gründen. Sie erbauten Grave, das sie von den eingeborenen Barbaren, die das Land mit ihnen teilten, abriegelten. Grüne Mauern hielten die Barbaren ab, und mit der Zeit gaben sie es auf, uns zu bekämpfen. Und ließen uns in Ruhe.« Retra hielt inne, während ihre Augen groß wurden. »Ich hatte immer gedacht, dieser Teil wäre nur erfunden, aber jetzt begreife ich, dass es noch andere Kulturen in Grave gibt. Vielleicht seid ihr, du und dein Volk, die Barbaren.«
    Suki verschränkte die Arme vor der Brust. »Na, zuerst mal heißt meine Welt nicht Grave, sondern Stra’ha’ine. Und für mich klingt es eher so, als wärt ihr die Barbaren, nicht wir.«
    »Ja, ich nehme an, so ist es auch«, gab Retra zu, um sie nicht zu verärgern.
    »Du meinst: kann sein? «
    Sie lächelten beide, und der unbehagliche Moment war vorbei.
    Retra fuhr mit ihrer Geschichte fort. »Einige der Ältesten glaubten, dass striktere Regeln notwendig waren. Sie zogen in den Süden der Stadt und errichteten ihre eigenen Mauern, durch die keiner ohne ihre Erlaubnis passieren darf. Sie nannten sie ›versiegelte Mauern‹. Da komme ich her – und daher haben wir unseren Namen.«
    »Und wie ist es so in Seal Süd?«
    »Kalt«, sagte sie. In vielerlei Hinsicht.
    »Was ist mit deinen Eltern?«
    »Sie glauben daran, dass die Regeln richtig und gut sind. Vor allem mein Vater. Mutter tut, was er ihr sagt. Früher hat sie mir immer vorgelesen, nur … dann hat er es ihr verboten. Abends hat sie mir das Haar gebürstet, aber er sagt, das wecke unreine Gedanken.«
    » Unreine Gedanken .« Suki grinste. »Warum sollte man denn die nicht haben wollen?«
    Doch Retra war in ihren Erinnerungen zu gefangen, um auf Sukis Necken zu reagieren. »Nachdem uns mein Bruder verlassen hatte, hat meine Mutter nicht mehr viel gesprochen. Es war, als wäre alles Leben aus ihr gewichen.«
    Suki zog die Nase kraus. »Du hast ein echt übles Zuhause. Meins war nur langweilig. Jagen, töten, häuten, salzen, kochen. Essen, saubermachen und

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