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Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)

Titel: Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marianne de Pierres
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von Hunderten von Kerzen erleuchtet wurde. Die kühle unterirdische Luft roch nach Wachs, und die Wände waren von vulkanischen Schichten rot gefärbt, sodass es wirkte, als bluteten sie. Hier und da waren Altäre in flache Nischen eingelassen. Darauf rekelten sich Menschen und plauderten.
    »Was machen sie?«
    Rollo zuckte die Achseln. »Vielleicht warten sie darauf, dass die Sitzung anfängt? Woher soll ich das wissen? Ich war noch nie hier.« Er klang angespannt.
    »Wohin sollen wir gehen?«, fragte Suki.
    »Dort hinüber, glaube ich.«
    Sie gingen ans Ende eines schmalen, gewürfelten Teppichs, der von roten Seilen gesäumt wurde. Er führte durch Reihen von Kirchenbänken hindurch, die ausreichend Sitzgelegenheiten für eine große Zuhörerschaft boten, und endete in der Mitte der Höhle, genau dort, wo sich eine raue, rechteckige Felsplatte befand, die noch größer war als die Plattformen der Seilbahn. Auf der Platte stand ein Tisch, verziert mit verschnörkelten goldenen Griffen und Motiven, die Retra an die Särge erinnerte, die sie bei Begräbnissen in Grave gesehen hatte. Sie zählte zehn sitzende Gestalten, doch nur eine von ihnen bewirkte, dass ihr Herz einen Satz machte.
    Lenoir!
    »Fünf Riper und fünf von uns«, flüsterte Suki, als hätte sie ihre Gedanken gelesen.
    »Du meinst, fünf Riper und fünf Komiteemitglieder«, verbesserte Rollo sie.
    »Das ist doch dasselbe.«
    »Nein, stimmt nicht«, sagte Rollo. »Das Komitee, das sind nicht wir. Viele denken, es seien Spitzel.«
    »Wer ist viele?«
    Rollo starrte sie zornig an. »Die Gangs.«
    »Ja, klar, Kero, der Große«, sagte Suki sarkastisch.
    Retra lauschte zwar ihrem leisen Wortgefecht, doch Lenoir zog immer wieder ihren Blick auf sich. Er saß am Kopfende des Tisches, mit Test an seiner Seite.
    Neben ihnen erschien ein Mädchen mit Haaren, die so lang waren, dass sie ihr bis über die Knie fielen, sowie einer gemalten roten Maske über den Augen. »Möchtet ihr bei der Komiteesitzung zusehen, kleine Fledermäuse?«
    »Klar!« Rollo schenkte ihr ein breites Grinsen.
    Retra war irritiert. Wie konnte er von jetzt auf gleich so charmant sein?
    »Ich heiße Jaime. Folgt mir«, sagte sie. »Ihr habt Glück. Sie fangen gerade mit einer neuen Debatte an.« Sie hakte eines der roten Seile auf und ließ sie auf den harten Holzbänken Platz nehmen. In der Bank vor ihnen lag ein junger Mann und döste mit offenen Augen. Retra hörte seine tiefen Atemzüge und sah, wie sich seine Brust stetig hob und senkte.
    Jaime rümpfte die Nase. »Er hat es zur petite nuit nicht mehr in eine Kirche geschafft. Dies ist der einzige Ort, an dem man sonst noch sicher ruhen kann«, sie senkte ihre ohnehin schon leise Stimme noch einmal, »auch wenn es Lenoir nicht gefällt …«
    Als hätte er seinen Namen gehört, stand Lenoir auf, drehte sich um und ließ den Blick über jede kerzenhelle Ecke der Höhle schweifen. Als er sie streifte, fühlte es sich wie ein heißer Windstoß an.
    »Das Komitee wird nun das Thema Ruzalia, die Piratin, erörtern. Test?« Seine Stimme drang in Retras Kopf, raunend und so nah, als wären seine Lippen an ihrem Ohr, während sein Atem über die Härchen an ihrem Hals strich. Sie bekam eine Gänsehaut, so wie das erste Mal, als sie die Verzückungspastille gegessen hatte.
    Lenoir nahm seinen Platz wieder ein, und Test erhob sich. Ihren steifen Haarkranz hatte sie zu einem einzigen drama tischen Stachel zusammengenommen, der von ihrem Nacke n abstand. Das Leder ihrer Weste schmiegte sich so eng an ihren Oberkörper, dass es sich nur in der Farbe von ihrer Haut unterschied. »Ruzalia hat Fähren aus Grave, Mustafar und Lidol Push angegriffen und geentert. Jedes Mal hat sie die Älteren verschleppt, sodass hier immer weniger von ihnen ankommen.«
    »Dann sollten wir uns aber eher bei ihr bedanken und sie nicht noch bestrafen«, sagte ein junges Komiteemitglied mit selbstbewusster Stimme.
    »Ruin. Er hat mit Markes zusammengestanden«, rief Suki Retra in Erinnerung.
    »So einfach ist das nicht, Ruin«, erwiderte Lenoir.
    Bei jedem Wort, das er sagte, hämmerte Retras Herz und Nadeln stachen auf ihrer Haut. Es war, als spiele seine Stimme mit ihren Sinnen.
    »Ruzalias Überfälle auf die Fähren verunsichern die jungen Fledermäuse. Manche gehen aus lauter Angst mit ihr. Heute haben wir wieder welche verloren. Du verstehst also, sie rettet nicht nur jene, die zu alt sind, sie widersetzt sich auch Ixion. Dabei wurden sogar Wächter verletzt. Sie

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