Retra – Insel der Schatten: Roman (German Edition)
macht es uns unmöglich, unsere Aufgabe zu erfüllen.«
»W-was ist denn eure Aufgabe?«, fragte Ruin kühn.
»Dafür zu sorgen, dass ihr euer Vergnügen habt, das ist unsere Aufgabe.« Lenoir lächelte. Aber was er gesagt hatte, klang nicht glaubhaft. »Brand, du weißt am besten, zu was Ruzalia fähig ist. Was denkst du?«
Brand. Retras Herz pochte, als die narbige Frau aus dem Schatten trat.
Unwillkürlich legte Brand die Finger an die Narben auf ihren Wangen und fuhr in einer unbewussten Geste über die rauen Wülste. »Ich sage, wir stellen ihr eine Falle und nehmen sie fest.«
»Eine Falle.« Lenoirs Stimme wurde lauter. Er klang interessiert.
Sofort kribbelte Retras Kopfhaut, als hätte die Stimme an jeder einzelnen Haarwurzel gezupft.
»Gib bekannt, dass wir die zusammenrufen, deren Zeit gekommen ist. Lock sie damit. Charlonge sollte eine davon sein. Sie ist bereits zu lange hier. Dann hältst du sie Ruzalia unter die Nase.«
Suki packte Retras Hand. Nicht Charlonge!
»Die Piratin wird wissen, dass es eine Falle ist«, sagte Lenoir.
»Vielleicht. Doch selbst wenn, wird sie nicht widerstehen können.«
»Hältst du sie für so tollkühn?« Lenoir schmunzelte leise. Der Laut umfloss Retra wie lauwarmes Wasser.
Neben ihr erschauderte Rollo. »Was hat denn der nur an sich?«, murmelte er. »Jedes Mal, wenn er spricht, bekomme ich eine Gänsehaut.«
Ohne ihn zu beachten, lehnte sich Retra zu dem langhaarigen Mädchen, Jaime, vor. »Was glaubst du, wo bringen sie die Maxer hin?«
Jaime drehte den Kopf kaum merklich zu ihr um. »An den Rand der Spirale.«
»Und was passiert dort?«
Ungeduldig zuckte das Mädchen die Achseln.
»Niemand weiß, was am Rand der Spirale passiert. Manche sagen, man könne von dieser Welt herunterfallen«, sagte Suki in bestimmtem Ton. »Oder verbrennen. So ist es, seitdem die Dunkelheit kam.«
»Aber wir sind doch auch hierhin gekommen«, wandte Retra ein.
»Herzukommen ist kein Problem. Wieder wegzukommen ist eines. Das sagen zumindest die Riper«, ergänzte Rollo.
»Wo kommt denn dann Ruzalia her?«
Er schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung.«
Jaime hob die Hand, um sie zum Schweigen zu bringen.
Rollo schnitt Retra ein Gesicht, aber die hatte ihre Aufmerksamkeit schon wieder Lenoir und dem Komitee zugewandt.
»Ich glaube, ich weiß, was sie interessieren könnte«, sagte Brand. Sie drehte sich um und zeigte in die Schatten. »Führt ihn her!«
Ein Riper glitt zu einem Altar am anderen Ende der Höhle, wo eine Gestalt in einer fließenden weißen Robe kniete, die langen Locken offen wie ein schöner dunkler Engel. Als sie sich erhob, hielt sie – zärtlich – eine Gitarre.
Markes.
Er ging zu dem Altar in der Mitte zurück, den Blick so fest auf Lenoir gerichtet, als würde er Retra oder die anderen gar nicht bemerken.
Jaime verschränkte die Hände und gab ein leises, genüssliches Stöhnen von sich. »Erstaunlich!«
»Was ist erstaunlich?«, flüsterte Retra.
»Dass eine junge Fledermaus vor das Jugendkomitee gebracht wird … das ist noch nie zuvor geschehen.«
»Warum dann jetzt?«, fragte Rollo.
»Pscht«, sagte das Mädchen. »Ihr werdet schon sehen.«
»Wer bist du?«, fragte Lenoir.
»Ich heiße Markes.« Seine Stimme klang eigenartig träge und langsam.
»Spiel für uns, Markes«, sagte Brand.
Markes hob die Gitarre und begann die Melodie zu spielen, die in Vank so viele Menschen berührt hatte. Sie musste daran denken, wie sie gewesen war, nachdem sie die Verzückungspastille genommen hatte – an die Hingabe, mit der sie getanzt hatte, das Verlangen und schließlich die schreienden Dämonen. Selbst jetzt noch erfüllte sie die Erinnerung daran mit Scham und Angst zugleich.
Als Markes aufhörte zu spielen, klatschte eine Riper-Frau mit hoher Stirn und langem lockigem Haar in die Hände, sodass ihre vielen Armreifen laut klimperten. »Brillant, Brand! Ruzalia schätzt die Künstler hoch. Erinnert ihr euch noch an den Sänger?«
Die Riper lachten, alle bis auf Brand, die durchtrieben lächelte. »Danke, Varonessa. Findest du nicht, dass einem Jungen mit einem so außergewöhnlichen Talent die Ehre zuteilwerden sollte, in das Komitee aufgenommen zu werden.«
»Lenoir?«, fragte Varonessa. »Bist du nicht auch der Meinung?«
Lenoir verlagerte sein Gewicht und legte ein Bein über das andere. Seine Miene, die sonst keine Gefühlsregung erkennen ließ, drückte Missfallen aus. »Gewöhnlich werden keine Neuankömmlinge in das Komitee
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