Rette mich vor dir
wurde.
»Ja, ich glaube, dass du dich verändern kannst«, höre ich mich sagen. »Ich glaube, dass jeder Mensch das kann.«
Und er lächelt.
Ein langsames frohes Lächeln. Ein Lächeln, das zu einem Lachen wird und sein Gesicht erhellt und ihm einen Seufzer entlockt. Er schließt die Augen. Sieht gerührt und belustigt aus. »Das ist so reizend«, sagt er. »So unerträglich süß. Denn du glaubst das wirklich.«
»Natürlich.«
Er öffnet die Augen, sieht mich an. Flüstert: »Aber du irrst dich.«
»Was?«
»Ich bin herzlos«, sagt er. Seine Stimme klingt hohl, tonlos, nach innen gewandt. »Ich bin ein herzloser Dreckskerl und eine grausame, bösartige Kreatur. Die Gefühle anderer sind mir komplett einerlei. Ebenso einerlei wie ihre Ängste, ihre Zukunft, ihre Wünsche, ihr Leben. Und es tut mir auch nicht leid. Mir tut nie etwas leid.«
Ich brauche ein paar Momente, um einen klaren Gedanken zu fassen. »Aber du hast dich doch entschuldigt bei mir«, widerspreche ich. »Gestern Abend –«
»Du bist anders«, unterbricht er mich. »Du zählst nicht.«
»Ich bin nicht wirklich anders. Und du hast bewiesen, dass du etwas bedauern kannst. Dass du mitfühlend und fürsorglich –«
»Das bin ich nicht.« Seine Stimme klingt jetzt plötzlich hart, zu kraftvoll. »Und ich werde mich auch nicht mehr ändern. Ich kann die verfluchten neunzehn Jahre meines Lebens nicht ungeschehen machen. Ich kann die Erinnerungen an meine Taten nicht einfach irgendwo liegen lassen. Ich kann nicht eines Morgens aufwachen und beschließen, mit geborgten Hoffnungen und Träumen zu leben. Fremden Versprechungen für eine bessere Zukunft. Und ich will dich nicht belügen«, fügt er hinzu. »Andere Menschen waren mir immer gleichgültig, und ich bringe für nichts und niemanden Opfer, und ich gehe keinerlei Kompromisse ein. Ich bin nicht gut, nicht gütig, nicht anständig und werde all das auch niemals sein. Ich bin nicht dazu fähig. Denn es wäre entsetzlich peinlich , wenn ich das auch nur versuchen würde.«
»Wie kannst du bloß so denken?« Ich würde ihn am liebsten schütteln. »Was ist peinlich daran, ein besserer Mensch zu werden?«
Doch er hört mir nicht zu. Er lacht. Sagt: »Kannst du dir das vorstellen? Wie ich kleine Kinder anlächle und bei Geburtstagsfeiern Geschenke verteile? Wie ich wildfremden Menschen behilflich bin? Mit dem Hund der Nachbarn spiele?«
»Ja«, antworte ich. »Ich kann mir das vorstellen.« Und ich habe es schon gesehen. Doch das sage ich nicht.
»Nein.«
»Und weshalb nicht?«, erwidere ich. »Was ist so schwer daran?«
»So ein Leben«, sagt er, »ist für mich ausgeschlossen.«
»Aber warum denn?«
Warner ballt die Hand zur Faust, öffnet sie wieder. Fährt sich durchs Haar. »Weil ich das fühle«, sagt er, jetzt ruhiger. »Ich habe das schon immer fühlen können.«
»Was denn?«
»Was die Leute über mich denken.«
»Was …?«
»Ihre Gefühle – ihre Energie – es – ich weiß nicht, was das ist«, sagt er entnervt, schüttelt den Kopf, tritt ein paar Schritte zurück. »Ich wusste das immer schon. Wie sehr mich alle verabscheuen und hassen. Ich weiß, wie sehr mein Vater mich verachtet. Ich kenne die Qualen meiner Mutter. Und ich weiß, dass du nicht wie alle anderen bist.« Seine Stimme wird rau. »Ich weiß, dass du mich wahrhaftig nicht hasst. Ich weiß, dass du mich hassen willst, aber außerstande dazu bist. Weil du keinen Groll gegen mich hegst in deinem Herzen. Wenn es so wäre, würde ich es wissen. Ebenso wie ich weiß«, er klingt erstickt, »dass du etwas empfunden hast, als ich dich geküsst habe. Du hast dasselbe empfunden wie ich und schämst dich dafür.«
Panik tropft mir aus allen Poren.
»Woher weißt du das?«, frage ich. »W-wie – so etwas kann man doch nicht einfach wissen –«
»Niemand hat mich je so angesehen wie du«, flüstert er. »Niemand spricht mit mir so wie du, Juliette. Du bist anders. So anders. Du würdest mich verstehen. Aber der Rest der Welt legt keinen Wert auf mein Mitgefühl. Auf mein Lächeln. Castle ist der einzige Mensch unter der Sonne, der eine Ausnahme darstellt, und seine Bereitschaft, mir zu vertrauen und mich zu akzeptieren, beweist lediglich, wie schwach eure Widerstandsbewegung ist. Ihr wisst hier alle nicht, was ihr tut, und werdet elend niedergemetzelt werden –«
»Das ist nicht wahr – das kann nicht wahr sein –«
»Hör mich an«, sagt Warner drängend. »Du musst das verstehen – die einzigen Menschen,
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