Rette mich vor dir
mir beigebracht, mich zu wehren. Und das wollte ich dich lehren. Ich wusste, dass in dir das Potential steckt, mehr zu sein, so viel mehr. Ich konnte deine innere Größe erkennen.«
Er sieht mich an. Schaut tief in mich hinein.
»Du wirst weiterhin Unglaubliches vollbringen«, fügt er hinzu. »Das wusste ich immer schon. Ich wollte wohl nur daran teilhaben.«
Ich bemühe mich. Ich versuche krampfhaft mich zu erinnern, warum ich ihn hassen soll, versuche mich all der furchtbaren Dinge zu entsinnen, die er getan hat. Doch ich bin gequält, weil ich zu genau weiß, wie es sich anfühlt, gequält zu sein. Etwas zu tun, weil man zu wenig weiß. Weil man etwas für richtig hält, da einem niemand beigebracht hat, dass es falsch ist.
Weil es so schwer ist, gut zur Welt zu sein, wenn man immer nur Hass empfunden hat.
Weil es so schwer ist, Gutes in der Welt zu sehen, wenn man immer nur in Angst und Schrecken gelebt hat.
Ich möchte ihm etwas sagen. Etwas Tiefes Umfassendes Unvergessliches, doch er scheint zu verstehen. Er lächelt, sonderbar unsicher, ein Lächeln, das seine Augen nicht erreicht, aber so viel aussagt.
Dann
»Informiere deine Leute«, sagt er. »Sie sollen sich auf Krieg vorbereiten. Falls mein Vater seine Pläne nicht inzwischen geändert hat, wird er übermorgen Befehl zum Angriff auf Zivilisten geben. Was ein Massaker zur Folge haben wird. Und das ist auch die einzige Gelegenheit, eure Männer zu retten. Sie werden irgendwo in den Kellern des Hauptquartiers von Sektor 45 gefangen gehalten. Ich fürchte, mehr kann ich dir nicht sagen.«
»Wieso –«
»Ich weiß, warum du hier bist, Süße. Ich bin nicht dumm. Ich weiß, weshalb man dich zwingt, mich aufzusuchen.«
»Aber wieso gibst du diese Information so bereitwillig preis?«, frage ich. »Aus welchem Grund willst du uns helfen?«
In seinen Augen flackert etwas auf, zu kurz, um es zu deuten. Und obwohl seine Miene dann betont neutral wirkt, fühlt sich etwas zwischen uns plötzlich anders an. Als sei die Luft mit etwas aufgeladen.
»Geh jetzt«, antwortet er und runzelt die Stirn. »Du musst es ihnen sofort sagen.«
53
Adam, Kenji und ich sitzen bei Castle im Büro zur Strategiebesprechung.
Am Abend zuvor lief ich sofort zu Kenji, der mich zu Castle brachte. Castle wirkte sowohl entsetzt als auch erleichtert, hat die Informationen aber wohl immer noch nicht ganz verkraftet.
Er sagte, er wolle am nächsten Morgen zu Warner gehen und versuchen, ihn zu genaueren Aussagen zu überreden (was dann misslang), und Kenji, Adam und ich sollten um die Mittagszeit in sein Büro kommen.
Und nun sitzen wir also dicht gedrängt mit 7 anderen in diesem kleinen Raum. Die Gesichter der anderen sind mir noch in Erinnerung von der Mission im Lagerhaus des Reestablishment; es müssen also wichtige Mitglieder von Omega Point sein. Und ich frage mich, seit wann ich eigentlich zu Castles Kerntruppe gehöre.
Ich gestehe mir ein, dass ich ein bisschen stolz bin. Zu denen zu gehören, auf die man vertraut. Etwas beizutragen.
Ich bin selbst erstaunt darüber, wie sehr ich mich in so kurzer Zeit verändert habe. Wie sehr mein Leben sich verändert hat. Wie viel stärker und schwächer zugleich ich mich inzwischen fühle. Frage mich, ob wohl alles anders verlaufen wäre, wenn Adam und ich eine Möglichkeit gefunden hätten zusammenzubleiben. Ob ich dann jemals die Sicherheit aufgegeben hätte, die mit ihm in mein Leben kam.
Ich denke über vieles nach.
Aber wenn ich aufschaue und sehe, wie er mich anstarrt, verfliegen alle Gedanken, und ich spüre nur noch meine schmerzliche Sehnsucht nach ihm. Und wünsche mir, er würde nicht sofort den Blick abwenden, wenn ich ihn ansehe.
Das war meine eigene elende Entscheidung. Ich habe es mir selbst zuzuschreiben.
Castle sitzt an seinem Schreibtisch, die Ellbogen aufgestützt, das Kinn in den gefalteten Händen. Er hat die Stirn gerunzelt und die Lippen geschürzt und studiert die Papiere, die vor ihm liegen.
Seit fünf Minuten hat er kein Wort gesprochen.
Schließlich schaut er auf. Sieht Kenji an, der vor ihm sitzt, zwischen mir und Adam. »Was meinen Sie?«, fragt er. »Offensive oder Defensive?«
»Guerillakampf«, antwortet Kenji, ohne zu zögern. »Es gibt keine Alternative.«
Ein tiefer Atemzug. »Ja«, sagt Castle. »Das denke ich auch.«
»Wir müssen uns aufteilen«, sagt Kenji. »Wollen Sie die Gruppen bilden, oder soll ich das machen?«
»Ich mache eine erste Aufstellung und möchte dann, dass Sie das
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