Rette mich vor dir
an. »Ich wohne mit dieser armen Kreatur zusammen, und außerdem kenne ich mich hier aus wie in meiner Westentasche. Ich weiß alles.«
»Warum sagst du es mir dann nicht? Bitte , Kenji –«
»Tja, hm, das muss ich ablehnen, aber weißt du, was ich tun werde? Ich werde dir dabei behilflich sein, dich aus diesem Raum zu entfernen, in dem jeder jedes Wort mithört, was wir sprechen.« Den letzten Satz sagt er mit erhobener Stimme, schaut sich dabei um und schüttelt den Kopf. »Esst euer Frühstück, Leute. Hier gibt’s nichts zu sehen.«
Erst jetzt merke ich, dass alle mich prüfend anstarren und rätseln, was hier vor sich geht. Ich lächle matt und winke zittrig, bevor Kenji mich rausführt.
»Du musst den Leuten nicht zuwinken, Prinzessin. Keine Krönungsfeierlichkeiten hier.« Er zieht mich in einen der vielen endlosen, schwach beleuchteten Korridore.
»Sag mir, was los ist.« Ich blinzle, um meine Augen an das veränderte Licht zu gewöhnen. »Das ist nicht fair – alle außer mir scheinen Bescheid zu wissen.«
Kenji bleibt stehen, zuckt die Achseln, lehnt sich an die Wand. »Es steht mir nicht zu, dir das zu sagen. Ich meine, ich albere gerne mit dem Burschen herum, aber ich bin kein Arschloch. Adam hat mich gebeten, nichts zu sagen. Also halte ich mich daran.«
»Aber – ich meine – ist alles in Ordnung mit ihm? Kannst du mir wenigstens so viel sagen?«
Kenji streicht sich mit der Hand über die Augen. Seufzt gereizt. Betrachtet mein Gesicht und holt dann tief Luft. Sagt: »Okay, hast du schon mal einen entgleisten Zug gesehen?« Er wartet die Antwort nicht ab. »Ich hab das als Kind mal erlebt. Es war einer dieser verrückten Endloszüge mit Tausen den von Waggons, und er war entgleist und schon halb ex plodiert. Er brannte, und die Leute schrien, und man weiß, dass die Menschen entweder schon tot sind oder grade sterben, und man will eigentlich nicht hingucken, kann aber trotzdem nicht wegschauen, verstehst du?« Er nickt. Kaut auf der Innenseite seiner Wange herum. »So ähnlich ist es. Dein Freund ist so was wie ein entgleister Zug.«
Ich spüre meine Beine nicht mehr.
»Ich meine, weiß nicht«, fährt Kenji fort. »Ich persönlich glaube, dass er einfach überreagiert. Es gibt wahrhaftig Schlimmeres, oder? Haben wir nicht weitaus verrückteren Scheiß um die Ohren? Doch das scheint Mr Adam Kent egal zu sein. Im Grunde denke ich, dass er den Verstand verloren hat. Ich glaube, der schläft nicht mal mehr. Und weißt du«, er beugt sich zu mir, »ich glaube, der kleine James kriegt langsam Angst vor seinem Bruder, und das macht mich allmählich ziemlich sauer, weil der Kleine so nett und cool ist, er hat es nicht verdient, sich mit Adams Drama rumschlagen zu müssen –«
Doch ich höre nicht mehr zu.
Ich bin damit beschäftigt, mir die allerschlimmsten Möglichkeiten vorzustellen. Grauenhafte Geschichten, die alle damit enden, dass Adam elendiglich zu Grunde geht. Er ist schwer krank oder hat irgendein entsetzliches Leiden oder hat vollständig die Kontrolle über sich verloren oder o Gott, nein
»Du musst es mir sagen.«
Ich erkenne meine eigene Stimme nicht wieder. Kenji schaut mich entsetzt an, völlig verängstigt, die Augen weit aufgerissen. Und ich merke erst jetzt, dass ich ihn an die Wand gepresst habe. Meine 10 Finger haben sich in sein Hemd gekrallt, und ich kann nur erahnen, wie ich jetzt aussehe.
Am unheimlichsten ist, dass mir das vollkommen egal ist.
»Du wirst mir jetzt irgendetwas sagen, Kenji. Ich muss es wissen.«
»Du, äm« – er leckt sich die Lippen, blickt um sich, lacht nervös, »ob du mich vielleicht loslassen könntest?«
»Wirst du mir helfen?«
Er kratzt sich hinterm Ohr. Wirkt unsicher. »Nein?«
Ich drücke ihn noch fester an die Wand. Das Blut in meinen Adern scheint zu brennen, und ich habe das Gefühl, als könne ich mit bloßen Händen die Erde aufreißen.
Das erscheint mir gerade ganz einfach. Vollkommen mühelos.
»Okay – gut – ach verflucht .« Kenji hebt die Arme hoch. Er atmet hastig. »Also – lass mich einfach los, und ich, äm, bring dich zum Labor.«
»Zum Labor.«
»Ja. Wo die Tests gemacht werden. Alle Tests.«
»Und du versprichst es?«
»Wirst du mich andernfalls zu Mus schlagen?«
»Vermutlich«, lüge ich.
»Dann verspreche ich es. Ich bring dich ins Labor. Verdammt .«
Ich lasse ihn los, taumle rückwärts, versuche mich zu fassen. Das Ganze ist mir jetzt etwas peinlich. Als sei meine Reaktion ziemlich übertrieben
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