Rette mich vor dir
gewesen. »Tut mir leid«, sage ich. »Danke jedenfalls. Nett, dass du mir hilfst.« Ich halte mich aufrecht, um halbwegs würdevoll zu wirken.
Kenji schnaubt. Schaut mich an wie ein unbekanntes Wesen. Als wisse er nicht, ob er lachen, klatschen oder davonrennen soll. Er reibt sich den Nacken, lässt mich dabei nicht aus den Augen. Starrt mich unverwandt an.
»Was?«, sage ich.
»Wie viel wiegst du?«
»Wow. Fragst du so was jedes Mädchen? Das erklärt dann natürlich alles.«
»Ich wiege siebenundachtzig Kilo«, sagt er. »Reine Muskeln.«
»Und ich soll dir jetzt einen Pokal überreichen oder was?«
»Oho«, sagt er und legt den Kopf schief. Die Spur eines Lächelns huscht über sein Gesicht. »Wer ist denn jetzt hier das Großmaul.«
»Dein schlechter Einfluss macht sich bemerkbar«, kontere ich.
Das Lächeln ist wieder verschwunden.
»Hör zu«, sagt er. »Ich sage das jetzt nicht aus Eitelkeit, aber ich könnte dich locker mit dem kleinen Finger durch die Gegend werfen. Du wiegst ja so gut wie nichts. Ich bin fast doppelt so schwer wie du.« Er zögert. »Wieso zum Teufel konntest du mich also an die Wand pressen?«
»Was?« Ich runzle die Stirn. »Wovon redest du?«
»Ich rede von dir «, er deutet auf mich, »die du mich «, er weist auf sich, »an die Wand gedrückt hast.« Er zeigt zur Wand.
»Du meinst, du konntest dich wirklich nicht mehr bewegen?« Ich blinzle verwirrt. »Ich dachte, du hättest nur Angst gehabt, mich anzufassen.«
»Nee«, antwortet Kenji. »Ich konnte mich tatsächlich nicht mehr rühren. Ich hab kaum mehr Luft gekriegt.«
Ich starre ihn mit großen Augen an. »Nicht dein Ernst.«
»Hast du so was noch nie zuvor gemacht?«
»Nein.« Ich schüttle den Kopf. »Ich glaube jedenfalls nicht, dass …« Eine Erinnerung flutet zurück in mein Hirn, und ich keuche erschrocken auf. Warner und seine Folterkammer. Ich muss die Augen schließen, um die Bilderflut zurückzudrängen. Allein der Gedanke an dieses Erlebnis verursacht akute Übelkeit; mir bricht der kalte Schweiß aus. Um mich zu testen, hatte Warner mich gezwungen, meine Kräfte bei einem Kleinkind anzuwenden. Ich war so entsetzt und außer mir vor Wut, dass ich durch eine Betonwand gebrochen war, um Warner zu packen. Und ihn hatte ich auch an die Wand gepresst. Damals hatte ich auch angenommen, dass er sich fürchtete, mich zu berühren.
Das war wohl ein Irrtum gewesen.
»Ja«, sagt Kenji und nickt, während er meine Miene studiert. »Das dachte ich mir. An diese Leckerei müssen wir denken, wenn wir loslegen mit unserem Training.« Er wirft mir einen vielsagenden Blick zu. »Wann auch immer das sein wird.«
Ich nicke geistesabwesend. »Ja. Klar. Aber jetzt bring mich ins Labor.«
Kenji seufzt. Deutet eine Verbeugung an und weist den Flur entlang. »Nach Euch, Prinzessin.«
7
Wir sind in Gängen unterwegs, in denen ich noch nie gewesen bin.
Zuerst kommen wir durch die mir vertrauten Korridore, vorbei an den Schlafquartieren und meinem Trainingsraum, und zum ersten Mal, seit ich hier bin, achte ich wirklich auf meine Umgebung. Meine Wahrnehmung ist plötzlich schärfer, klarer, und ich fühle mich wie mit neuer Energie geladen.
Ich stehe unter Strom.
Diese unterirdische Welt in der Erde besteht aus höhlenartigen Räumen und zahllosen miteinander verbundenen Gängen. Vorräte und Strom werden von geheimen Lagern des Reestablishment abgezweigt. Castle hat uns einmal erklärt, dass er gute 10 Jahre damit zugebracht hat, dieses einzigartige Versteck zu planen, und eine weitere Dekade, um die Pläne in die Tat umzusetzen und seine Mitarbeiter zu rekrutieren. Ich kann verstehen, warum er in puncto Sicherheit so penibel ist. Hätte ich so ein Werk geschaffen, würde ich es auch nicht gefährdet sehen wollen.
Kenji bleibt stehen.
Wir scheinen eine Art Sackgasse erreicht zu haben – vielleicht das Ende von Omega Point.
Kenji bringt einen Kartenschlüssel zum Vorschein und öffnet eine in der Wand verborgene Klappe. Scheint etwas einzugeben, zieht dann die Karte durch. Legt einen Schalter um.
Die Wand erwacht zum Leben.
Öffnet sich, bis ein Spalt entstanden ist. Kenji klettert hindurch, ich folge ihm. Drehe mich auf der anderen Seite noch einmal um, schaue zu, wie sich die Wand hinter mir schließt.
Ich stehe in einer riesigen Höhle, unterteilt in 3 Bereiche. Ein schmaler Gang verläuft zwischen quadratischen, verglasten Räumen mit schmalen Glastüren. Nichts ist dem Blick verborgen. Alle Räume sind hell
Weitere Kostenlose Bücher