Rette mich vor dir
Eindruck. Eher, als ob du dich demnächst vor einen Panzer werfen würdest.«
»So was würde ich nie tun«, erwidere ich.
»Okay«, sagt er. »Gut. Wäre ja bloß möglich. Du scheinst eben nur zwei Modi zu haben: Entweder du bist trübsinnig, oder du machst mit Adam rum – und ich muss sagen, da finde ich den Trübsinn noch erfreulicher –«
»Kenji!« Ich will mich losreißen, aber er hält meine Hand mit eisernem Griff fest.
»Nicht loslassen!«, knurrt er leise. »Sonst bricht die Verbindung ab.« Er zerrt mich über eine freie Fläche. Wir sind jetzt außer Hörweite der Siedlungen, aber noch zu weit entfernt vom Treffpunkt, um in Sicherheit zu sein. Der Schnee ist zum Glück so spärlich, dass wir keine Fußabdrücke hinterlassen.
»Ich kann nicht fassen, dass du uns nachspioniert hast!«
»Ich hab euch nicht nachspioniert , okay? Beruhig dich, verflucht noch mal. Ihr müsst euch beide beruhigen. Adam ist mir deshalb auch schon fast an die Gurgel gegangen –«
»Was?« Ich habe allmählich das Gefühl, dass die Puzzle-teile sich zusammenfügen. »War er deshalb letztens beim Frühstück so sauer auf dich?«
Kenji wird ein bisschen langsamer. Holt tief Luft. »Er dachte, ich würde die Situation ausnutzen .« Er klingt verächtlich. »Glaubt, ich mache mich unsichtbar, damit ich dich nackt sehen kann oder so was. Davon weiß ich gar nichts, verstehst du? Der spinnt. Ich mache nur meine Arbeit.«
»Aber – stimmt das auch? Also, du versuchst wirklich nicht, mich nackt zu sehen oder so?«
Kenji schnaubt und unterdrückt ein Lachen. »Hör zu, Juliette«, sagt er, »ich bin nicht blind. Rein körperlich – ja, du bist ziemlich sexy, und dein Anzug tut das Seine. Aber selbst wenn du nicht dieses ganze ›Wenn ich dich anfasse, töte ich dich‹-Ding laufen hättest, wärst du ganz und gar nicht mein Typ. Und, noch wichtiger«, fügt er hinzu, »ich bin kein perverses Arschloch. Ich nehme nur meine Arbeit ernst. Ich bewege einiges hier auf der Welt und stelle mir ganz gern vor, dass ich dafür von den Leuten geachtet werde. Aber der gute Adam scheint nur noch mit dem Unterleib denken zu können. Dagegen solltest du vielleicht mal was unternehmen.«
Ich schaue zu Boden. Bleibe eine Weile stumm. Dann: »Ich glaube, darüber musst du dir ab jetzt keine Sorgen mehr machen.«
»Ach, Scheiße auch«, seufzt Kenji genervt. »Ich hab’s ja nicht anders gewollt, oder?«
»Wir müssen nicht darüber reden, Kenji.«
Er schnaubt ärgerlich. »Es ist ja nicht so, dass ich nicht verstehen könnte, was du durchmachst«, sagt er. »Oder dass ich dich deprimiert sehen will oder was. Aber wir leben ohnehin schon übel im Chaos.« Seine Stimme klingt angespannt. »Und ich hab es einfach satt, dass du nicht über die Grenzen deiner kleinen Welt hinausdenken willst. Du verhältst dich, als sei unser Projekt – alles, was wir tun – ein blöder Witz. Du nimmst es nicht ernst –«
»Was?«, unterbreche ich ihn. »Das ist nicht wahr – ich nehme das alles ernst –«
»Blödsinn.« Ein scharfes zorniges Lachen. »Du hockst nur herum und denkst über deine Gefühle nach. Über deine Probleme . Bu-huu«, macht er höhnisch. »Deine Eltern hassen dich, und es ist alles so schlimm, und du musst für den Rest deines Lebens Handschuhe tragen, weil du die Menschen umbringst, wenn du sie anfasst.« Er klingt ziemlich atemlos. »So weit ich weiß, hast du was zu futtern und Kleider am Leib und einen Ort, an dem du in Ruhe pinkeln kannst. Du hast also keine Probleme. So was nennt man ein fürstliches Leben. Und ich fände es wirklich erfreulich, wenn du endlich erwachsen werden und dich nicht mehr aufführen würdest, als hätte die Welt auf deine einzige Rolle Klopapier gekackt. Weil das nämlich richtig dumm ist«, fügt er hinzu, mühsam beherrscht. »Es ist dumm und undankbar. Du hast keinen blassen Schimmer, was der Rest der Welt gerade durchmacht. Keinen Schimmer, Juliette. Und es scheint dich auch einen Dreck zu interessieren.«
Ich schlucke schwer.
»Und ich versuche jetzt«, fährt er fort, »dir eine Chance zu geben. Dir andere Blickwinkel zu ermöglichen. Damit du nicht mehr das traurige kleine Mädchen sein musst – was du aber scheinbar immer noch sein willst – und Verantwortung für dich selbst übernehmen kannst. Damit du nicht mehr heulend im Dunkeln hocken und dich mit Traurigkeit und Einsamkeit befassen musst. Wach endlich auf«, sagt er. »Du bist nicht der einzige Mensch auf der Welt, der morgens
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