Rette mich vor dir
Tagewerk zu beginnen.
27
»Juliette? Juliette!«
»Bitte wach auf –«
Ich fahre aus dem Schlaf hoch, keuchend, mit pochendem Herzen, blinzle wie wild, um etwas zu erkennen. »Was ist? Was ist los?«
»Kenji wartet draußen auf dich«, sagt Tana.
»Er sagt, er braucht dich«, fügt Randa hinzu. »Irgendwas ist passiert.«
Ich springe so schnell aus dem Bett, dass ich die Decke mitreiße. Taste im Dunkeln nach meinem Anzug – ich schlafe in einem Pyjama, den ich mir von Randa geliehen habe – und versuche nicht panisch zu werden. »Weißt du, was los ist?«, frage ich. »Weißt du – hat er dir irgendwas gesagt –«
Tana reicht mir meinen Anzug. »Nein, er meinte nur, es sei dringend, es sei etwas passiert, und wir sollten dich sofort wecken.«
»Bestimmt wird alles gut«, sage ich zu den beiden. Keine Ahnung, weshalb ich das sage und weshalb ich glaube, dass ausgerechnet ich sie beruhigen könnte. Ich wünschte, ich könnte Licht anmachen, aber das Licht hier unten wird zentral geschaltet. Indem man die Räume nur zu bestimmten Tageszeiten beleuchtet, spart man Energie – und sorgt außerdem für eine Art natürlichen Tagesrhythmus.
Ich schlüpfe in meinen Anzug, ziehe den Reißverschluss hoch und eile zur Tür. Randa ruft mir nach, reicht mir meine Stiefel.
»Danke – vielen Dank euch beiden«, sage ich.
Ziehe meine Stiefel an und renne hinaus.
Draußen pralle ich gegen etwas Festes.
Einen Menschen. Einen Mann.
Ich höre ihn scharf einatmen, seine Hände stützen mich, und mir gerinnt das Blut in den Adern. »Adam«, keuche ich.
Er hat mich nicht aufgegeben. Ich höre sein Herz klopfen, schnell und laut in der Stille zwischen uns, und er fühlt sich zu ruhig an, zu angespannt, als versuche er krampfhaft, seinen Körper zu beherrschen.
»Hi«, flüstert er, aber es klingt erstickt.
Mir bleibt fast das Herz stehen.
»Adam, ich –«
»Ich kann dich nicht aufgeben«, sagt er, und seine Hände zittern, als sei es zu anstrengend, mich festzuhalten. »Ich kann dich nicht aufgeben. Ich versuche es, aber –«
»Dann trifft es sich ja gut, dass ich auch noch da bin, nicht wahr?« Kenji reißt mich aus Adams Armen und holt tief Luft. »Herrje. Seid ihr jetzt fertig hier? Wir müssen los.«
»Was – ist passiert?«, stottere ich, will mir meine Verlegenheit nicht anmerken lassen. Ich wünschte wirklich, Kenji würde mich nicht immer in Momenten ertappen, in denen ich so verletzlich bin. Ich wünschte, er könnte mich stark und zuversichtlich erleben. Dann frage ich mich, seit wann ich Wert auf Kenjis Meinung über mich lege. »Stimmt was nicht?«
»Keine Ahnung«, antwortet Kenji, als er durch die dunklen Gänge vorausgeht. Er muss den Verlauf der Gänge im Kopf haben; ich sehe kaum etwas, und er geht so schnell, dass wir beinahe rennen müssen. »Aber«, fügt er hinzu, »ich nehme an, dass in großem Stil die Kacke am Dampfen ist. Castle hat mir vor fünfzehn Minuten eine Nachricht geschickt – ich soll dich und Kent sofort in sein Büro bringen. Was ich hiermit tue.«
»Aber – jetzt? Mitten in der Nacht?«
»So was passiert nicht nach Fahrplan, Prinzesschen.«
Ich beschließe, den Mund zu halten.
Wir folgen Kenji zu einer einzigen Tür am Ende eines schmalen Tunnels.
Er klopft 2mal, wartet. Klopft 3mal, wartet wieder. Klopft einmal.
Ich frage mich, ob ich mir diesen Code einprägen soll.
Die Tür öffnet sich von alleine, und Castle winkt uns herein.
»Schließen Sie bitte die Tür«, sagt er. Ich blinzle mehrmals, um meine Augen an das Licht zu gewöhnen. Auf Castles Schreibtisch steht eine Leselampe, die genügend Licht spendet, um den kleinen Raum zu erhellen. Ich schaue mich um.
Castles Büro ist mit wenigen Bücherregalen und einem einfachen Tisch ausgestattet, auf dem auch ein Computer steht. Sämtliches Mobiliar scheint aus gebrauchten Metallteilen angefertigt zu sein. Sein Schreibtisch war offenbar früher die Ladefläche eines Lieferwagens.
Der Boden ist mit Stapeln von Büchern und Papieren übersät, und in den Regalen liegen Maschinen- und Computerteile, aus denen Kabel und Drähte herausragen. Vielleicht sollen sie repariert werden oder gehören zu einem Projekt, an dem Castle arbeitet.
Anders ausgedrückt: Castles Büro ist ein einziges Chaos.
Was ich von jemandem, der so gut organisiert wirkt, nicht erwartet hätte.
»Nehmen Sie Platz«, sagt er. Ich halte Ausschau nach Stühlen, entdecke aber nur zwei umgedrehte Mülltonnen und einen Hocker. »Ich bin gleich
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