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Rette mich vor dir

Rette mich vor dir

Titel: Rette mich vor dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahereh H. Mafi
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nichts ändert? Wenn du immer noch sicher bist, dass du mich hasst, bleibt doch alles beim Alten. Das hast du doch gesagt, nicht wahr? Dass du mich hasst?«
    Ich hocke mich Warner gegenüber auf den Boden. Ziehe die Knie an die Brust. Betrachte die Steinplatten. »Ich hasse dich nicht.«
    Warner scheint die Luft anzuhalten.
    »Ich meine manchmal sogar, dich verstehen zu können«, sage ich. »Wirklich. Aber immer, wenn ich glaube, erfasst zu haben, wer du bist, verblüffst du mich. Und ich weiß nie wirklich, wer du bist oder sein wirst.« Ich blicke auf. »Aber ich weiß jetzt, dass ich dich nicht mehr hasse. Ich habe es versucht. Ich wollte es unbedingt. Weil du so viele schreckliche Dinge getan hast. Mit unschuldigen Menschen. Mit mir. Aber jetzt weiß ich zu viel über dich. Ich habe zu viel gesehen. Du bist zu menschlich.«
    Seine Haare sind so golden. Seine Augen so grün. Seine Stimme klingt gepeinigt, als er spricht. »Willst du damit sagen, dass du mit mir befreundet sein willst?«
    »I-ich weiß nicht.« Ich fühle mich wie gelähmt bei dieser Vorstellung. »Darüber habe ich nicht nachgedacht. Ich wollte nur sagen, dass ich nicht mehr weiß«, ich zögere, atme tief ein, »dass ich nicht mehr weiß, wie ich dich hassen soll. Selbst wenn ich es wollte. Ich will es wirklich und weiß, dass ich es tun sollte. Aber es ist mir einfach nicht möglich.«
    Er schaut beiseite.
    Lächelt.
    Ein Lächeln, das mich alles andere vergessen lässt, und ich kann nur noch blinzeln und blinzeln und verstehe nicht, was mit mir geschieht. Ich weiß nicht, wie ich meine Augen davon überzeugen soll, etwas anderes zu betrachten.
    Ich weiß nicht, warum mein Herz den Verstand verliert.
    Er berührt gedankenverloren mein Notizheft. Streicht einmal, 2mal über den Umschlag. Als er merkt, dass ich ihn beobachte, hält er inne.
    »Hast du wirklich all diese Wörter geschrieben?« Seine Finger streichen wieder über das Papier. »Jedes einzelne?«
    Ich nicke.
    Er sagt: »Juliette.«
    Ich halte die Luft an.
    Er sagt: »Ich würde mir das sehr wünschen. Mit dir befreundet zu sein«, sagt er. »Das wäre sehr schön.«
    Und ich habe keinerlei Ahnung mehr, was in meinem Gehirn vor sich geht.
    Vielleicht hat es damit zu tun, dass er kaputt ist und ich dumm genug bin zu glauben, ich könnte ihn reparieren. Oder ich sehe mich, die 3-, 4-, 5-, 6-, 17-jährige Juliette verlassen, vernachlässigt, misshandelt, missbraucht zu Zwecken, auf die sie keinen Einfluss hat, und ich halte Warner für jemanden wie mich, jemanden, der nie eine Chance im Leben bekommen hat. Ich denke daran, dass alle ihn hassen, dass es bereits eine Selbstverständlichkeit ist, ihn zu hassen.
    Warner ist schrecklich.
    Es gibt keine Diskussionen, keine Vorbehalte, keine offenen Fragen. Es wurde bereits entschieden, dass er ein verabscheuungswürdiges Wesen ist, dem nur nach Macht und Mord und Folter gelüstet.
    Doch ich möchte es wissen. Ich will es wissen. Ich muss es wissen.
    Ob es wirklich so einfach ist.
    Denn wenn ich eines Tages den Halt verliere? Wenn ich einbreche und niemand mir zu Hilfe kommt? Was wird dann mit mir geschehen?
    Deshalb schaue ich ihm in die Augen. Hole tief Luft.
    Und renne los.
    Zur Tür hinaus.

51
    Nur einen Moment noch.
    Nur 1 Sekunde, 1 Minute, 1 Stunde oder 1 Wochenende vielleicht, um es zu durchdenken, das ist nicht so viel nicht so schwer mehr verlangen wir gar nicht nur eine simple Bitte.
    Doch die Momente die Sekunden die Minuten die Stunden die Tage und Jahre sind ein großer Fehler, eine außergewöhnliche Gelegenheit ist uns durch die Finger geglitten, weil wir uns nicht entscheiden konnten, weil wir nicht verstanden haben, weil wir mehr Zeit brauchten, nicht wussten, was wir tun sollten.
    Wir wissen nicht einmal, was wir getan haben.
    Wir haben keine Ahnung, wie wir hierhergekommen sind, wo wir doch nur morgens aufwachen und abends einschlafen und auf dem Heimweg vielleicht ein Eis essen wollten, und diese eine Entscheidung, diese eine zufällige Gelegenheit hat alles vernichtet, was wir jemals wussten und woran wir glaubten, und was tun wir?
    Was sollen wir
    denn nun tun ?

52
    Die Lage spitzt sich zu.
    Und die Bewohner von Omega Point werden von Stunde zu Stunde nervöser. Wir haben versucht, Kontakt zu Andersons Leuten aufzunehmen, haben aber nichts von ihnen gehört. Keine Nachricht von unseren Geiseln. Doch auch die Bürger von Sektor 45 – dem Sektor, der früher von Warner verwaltet wurde – werden zusehends unruhig. Die

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