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Rette mich vor dir

Rette mich vor dir

Titel: Rette mich vor dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahereh H. Mafi
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im Augenwinkel. »Du stellst zu viele Fragen.«
    »Ich kann nicht anders«, erwidere ich. »Du wirkst so verändert auf mich. Und alles, was du sagst, erstaunt mich.«
    »Inwiefern?«
    »Ich weiß nicht. Du bist so … ruhig. Weniger verrückt.«
    Er lacht, lautlos, nur sein Brustkorb bewegt sich, und erwidert: »Mein bisheriges Leben hat aus Kampf und Zerstörung bestanden. Hier zu sein, fern von Verpflichtungen, Verantwortung, Tod«, er starrt auf die Wand gegenüber, »das ist wie Urlaub für mich. Ich muss nicht dauernd nachdenken. Ich muss nichts tun, mit niemandem reden, nirgendwo hingehen.« Er lächelt. »Ich konnte noch nie so viel schlafen . Das ist richtig erholsam für mich. Ich glaube, ich möchte öfter mal Geisel sein«, fügt er, halb zu sich selbst, hinzu.
    Ich kann nicht anders, ich muss ihn ansehen.
    Ich betrachte sein Gesicht so eingehend, wie ich es noch nie zuvor gewagt habe. Und mir wird bewusst, dass ich nicht die geringste Ahnung habe, wie es sich wohl anfühlt, er zu sein. Er hatte mir einmal gesagt, dass ich mir sein Leben nicht vorstellen könnte, dass ich die seltsamen Gesetze seiner Welt nicht verstehen würde. Und ich begreife erst jetzt, wie Recht er damit hatte. Weil ich absolut nichts weiß über diese Art von brutalem, reglementiertem Dasein. Doch plötzlich möchte ich etwas darüber erfahren.
    Ich will verstehen lernen.
    Ich beobachte Warners Bewegungen. Er versucht lässig und entspannt zu wirken, doch er tut nichts unbewusst, sondern alles mit Kalkül. Behält die Tür im Auge, betrachtet die Scharniere, den Knauf. Horcht auf jedes noch so kleine Geräusch wie ein Scharren oder entfernte Stimmen, und reagiert darauf mit leichter Anspannung. Er ist immer achtsam, angespannt, kampfbereit. Ich frage mich, ob er sich jemals sicher und geborgen gefühlt hat. Ob er jemals eine Nacht in Ruhe schlafen konnte. Ob er jemals unterwegs sein konnte, ohne sich unentwegt umzudrehen.
    Er hat die Hände gefaltet.
    Spielt mit einem Ring am kleinen Finger seiner linken Hand, dreht ihn dreht ihn dreht ihn. Ich kann nicht glauben, dass ich den Ring noch nie zuvor bemerkt habe – er ist aus blassgrüner Jade, die perfekte Entsprechung zu Warners Augenfarbe. Und plötzlich fällt mir ein, dass ich den Ring doch schon einmal gesehen habe.
    Nur ein einziges Mal.
    An dem Tag, nachdem ich Jenkins verletzt hatte. Als Warner morgens in sein Zimmer kam, um mich abzuholen. Ich hatte auf den Ring gestarrt, und er hatte die Hände hinter dem Rücken verschränkt.
    Ein Déjà-vu-Erlebnis.
    Warner bemerkt meinen Blick und ballt die linke Hand schnell zur Faust, bedeckt sie mit der rechten.
    »Was –«
    »Nur ein Ring«, sagt er. »Hat nichts zu bedeuten.«
    »Weshalb versteckst du ihn dann?« Ich bin so begierig, mehr über ihn zu erfahren, ihn zu öffnen, zu begreifen, was in seinem Kopf vorgeht.
    Er seufzt.
    Bewegt die Finger. Spreizt sie. Starrt auf die Oberfläche seiner Hände. Zieht den Ring ab und hält ihn ins Licht der Neonlampe. Betrachtet ihn. Ein kleines grünes O. Dann wirft Warner mir einen raschen Blick zu. Lässt den Ring in seine Hand fallen, ballt sie zur Faust.
    »Du willst es mir nicht sagen?«, frage ich.
    Er schüttelt den Kopf.
    »Warum nicht?«
    Er reibt sich den Nacken, massiert die Stelle über seinem oberen Rücken, als wolle er verspannte Muskeln lösen. Ich kann den Blick nicht abwenden. Frage mich unwillkürlich, wie es sich anfühlt, so massiert und von Schmerzen befreit zu werden. Warners Hände sehen so kraftvoll aus.
    Ich habe fast vergessen, worüber wir gesprochen hatten, als er unvermittelt sagt: »Ich besitze diesen Ring seit über zehn Jahren. Damals passte er noch an meinen Zeigefinger.« Er wirft mir einen Blick zu, schaut dann wieder weg. »Und ich spreche nie über ihn.«
    »Niemals?«
    »Nein.«
    »Oh.« Ich beiße mir auf die Unterlippe. Enttäuscht.
    »Magst du Shakespeare?«, fragt er.
    Seltsamer Themenwechsel.
    Ich schüttle den Kopf. »Ich weiß über den nur, dass er meinen Namen geklaut und falsch geschrieben hat.«
    Warner starrt mich einen langen Moment an und bricht dann in schallendes Gelächter aus – versucht sich zu beruhigen, doch es will ihm nicht gelingen.
    Ich fühle mich plötzlich unwohl, fehl am Platz in Gegenwart dieses sonderbaren Jungen, der sich ausschüttet vor Lachen und geheimnisvolle Ringe trägt und mich nach Büchern und Theaterstücken ausfragt. »Das sollte kein Witz sein«, sage ich.
    Warner gluckst noch immer verstohlen, als er

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