Rette mich vor dir
Gerüchte über unseren Widerstand verbreiten sich in Windeseile.
Das Reestablishment hat versucht, den jüngsten Kampf als eine der üblichen Aktionen gegen Rebellen abzutun, aber das Volk lässt sich nicht mehr so leicht täuschen. Es gibt Aufstände, die Leute verweigern die Arbeit, setzen sich gegen die Obrigkeit zur Wehr, flüchten aus den Siedlungen und verstecken sich in Sperrgebieten.
Was jedoch nie ein gutes Ende nimmt.
Es gibt zu viele Verluste, und Castle will etwas unternehmen. Wir haben das Gefühl, dass wir in Kürze wieder aufbrechen müssen. Es gibt auch keine Nachricht von Andersons Tod, was vermutlich bedeutet, dass er überlebt hat und nun auf der Lauer liegt und einen bestimmten Zeitpunkt abwartet – oder, wie Adam meint, noch mit seiner Verletzung kämpft. Andersons Stillschweigen ist jedenfalls kein gutes Zeichen.
»Was machen Sie hier?«, fragt mich Castle.
Ich habe gerade mein Essen geholt und mich mit Adam, Kenji und James an unserem üblichen Tisch niedergelassen. Jetzt schaue ich verwirrt zu Castle auf.
»Was ist los?«, fragt Kenji.
»Alles in Ordnung?«, erkundigt sich Adam.
»Verzeihen Sie, Ms Ferrars«, sagt Castle, »ich wollte Sie nicht beim Essen stören. Ich muss nur gestehen, dass ich etwas erstaunt bin, Sie hier vorzufinden. Denn Sie haben doch derzeit einen Auftrag.«
»Oh.« Ich blicke verlegen auf mein Essen und schaue dann wieder zu Castle hoch. »Ich – na ja, ich – aber ich habe schon zweimal mit Warner gesprochen – erst gestern –«
»Ah, das ist eine gute Nachricht, Ms Ferrars. Sehr gut.« Castle sieht erleichtert aus und faltet die Hände. »Und was konnten Sie in Erfahrung bringen?« Seine Miene ist so hoffnungsvoll, dass ich mich regelrecht schäme.
Alle starren mich an, und ich weiß nicht, was ich sagen soll.
Schüttle den Kopf.
»Oh.« Castle lässt die Hände sinken. Blickt zu Boden. Nickt. »Sie haben also beschlossen, dass diese beiden Besuche ausreichend sind?« Er vermeidet es, mich anzusehen. »Wie ist Ihre professionelle Meinung, Ms Ferrars? Halten Sie es für richtig, sich in dieser Lage möglichst viel Zeit zu lassen? Glauben Sie, dass Winston und Brendan es sich irgendwo gemütlich machen, bis Sie in Ihrem überfüllten Terminplan eine Lücke finden, um die einzige Person zu verhören, die uns helfen kann, die beiden zu finden? Denken Sie, dass –«
»Ich gehe sofort wieder zu ihm.« Ich nehme mein Tablett und springe auf. »Es – tut mir leid – ich habe nur – wir sehen uns beim Frühstück«, sage ich zu den anderen und laufe los.
Brendan und Winston
Brendan und Winston
Brendan und Winston, wiederhole ich stumm.
Ich höre Kenji hinter mir lachen, als ich zur Tür hinauseile.
Offenbar bin ich eine ziemliche Versagerin, was Verhöre angeht.
Ich habe so viele Fragen an Warner, aber keine hat mit unseren Geiseln zu tun. Jedes Mal wenn ich glaube, die richtigen Fragen stellen zu können, gelingt es Warner, mich abzulenken. Es hat fast den Anschein, als habe er eine Vorahnung und versuche das Gespräch absichtlich in eine andere Richtung zu lenken.
Das macht mich völlig konfus.
»Hast du ein Tattoo?«, fragt er und lehnt sich bequem an die Wand; heute trägt er Unterhemd, Hose, Socken, keine Schuhe. »Heutzutage hat doch fast jeder eins.«
Ich hätte nie geglaubt, dass ich einmal mit Warner über so etwas sprechen würde.
»Nein«, antworte ich. »Hat sich nie ergeben. Außerdem wird sich wohl niemand meiner Haut nähern wollen.«
Er betrachtet seine Hände. Lächelt. »Irgendwann vielleicht.«
»Schon möglich.«
Schweigen.
»Und dein Tattoo?«, frage ich dann. »Wieso ENTFLAMME ?«
Das Lächeln wird breiter. Die Grübchen tauchen wieder auf. Er schüttelt den Kopf. »Warum nicht?«
»Versteh ich nicht.« Ich lege den Kopf schräg, schaue ihn fragend an. »Willst du dich daran erinnern, dich selbst in Brand zu stecken?«
Er gluckst. »Eine Handvoll Buchstaben ergibt nicht immer ein Wort, Süße.«
»Ich … weiß nicht, was du damit sagen willst.«
Er holt tief Luft. Setzt sich aufrechter hin. »Hast du früher viel gelesen?«, fragt er.
Die Frage ist so seltsam – ich weiß nicht, ob sie wieder ein Trick ist. Ob die Antwort riskant ist. Dann rufe ich mir in Erinnerung, dass Warner meine Geisel ist, nicht umgekehrt. »Ja«, antworte ich. »Hab ich.«
Das Lächeln schwindet, sein Blick wird berechnender, seine Miene ist beinahe ausdruckslos. »Und wann hattest du Gelegenheit dazu?«
»Wie meinst du das?«
Er
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