Rette mich vor dir
sagt: »Keine Sorge. Bis vor etwa einem Jahr wusste ich auch nicht viel über ihn. Das meiste, was er geschrieben hat, verstehe ich auch nicht, den größten Teil werden wir also wohl vernichten. Aber ein Satz von ihm gefällt mir wirklich gut.«
»Welcher?«
»Möchtest du ihn sehen?«
» Sehen ?«
Warner springt auf und beginnt den Reißverschluss seiner Hose zu öffnen, und ich frage mich beunruhigt, was nun wohl passiert und ob er wieder irgendein krankes Spielchen mit mir spielen will. Er bemerkt meinen panischen Gesichtsausdruck und hält inne. Sagt: »Keine Sorge, Süße. Ich ziehe mich nicht splitternackt aus, das verspreche ich dir. Nur ein weiteres Tattoo.«
»Wo?«, krächze ich. Will wegschauen und doch nicht wegschauen.
Er gibt keine Antwort.
Seine Hose ist jetzt offen, hängt auf den Hüften. Die Boxershorts sind sichtbar, und er schiebt den Bund nach unten, bis er unterhalb des Hüftknochens sitzt.
Ich erröte bis unter die Haarwurzeln.
Ich habe noch nie zuvor diesen Teil eines männlichen Körpers gesehen und kann den Blick nicht abwenden. Meine intimen Momente mit Adam haben im Dunkeln stattgefunden und wurden immer unterbrochen; ich habe nie Gelegenheit gehabt, seinen Körper genauer zu betrachten. Und nun steht Warner direkt vor mir im Licht, und ich bin vollkommen fasziniert. Bewundere die schmalen Hüften, die sehnigen Lenden, die in dem schmalen Stück Stoff münden. Möchte wissen, wie es sich anfühlt, einen Mann ohne diese störenden Stoffschichten zu erleben.
So intim, so nah.
Ich möchte die Geheimnisse in seinen Ellbogen entdecken und das Flüstern in seinen Kniekehlen. Will den Linien seines Körpers mit den Augen und den Fingerspitzen folgen. Will die Flüsse und Täler entlang der straffen Muskeln erkunden.
Meine Gedanken verstören mich.
In meinem Bauch macht sich ein aufgebrachtes Glühen bemerkbar, das ich nicht spüren will. In meiner Brust flattern Schmetterlinge, deren Existenz ich leugnen möchte. In meinem Innersten tobt ein Schmerz, den ich nicht benennen will.
Wunderschön .
Er ist so wunderschön .
Ich muss wahnsinnig sein.
»Er ist interessant«, sagt Warner. »So … bedeutsam, finde ich. Auch wenn er vor so langer Zeit geschrieben wurde.«
»Was?« Ich muss mich zwingen, den Blick von seinem Unterleib zu lösen, meine Fantasien zu zügeln. Starre nur auf die Worte auf Warners Haut. »Ah. Ja.«
2 Zeilen. Buchstaben wie von einer Schreibmaschine, in seinen Unterbauch geritzt.
Die Höll’ ist ledig
und alle Teufel hier
Ja. Interessant. Ja. Gewiss.
Ich glaube, ich muss mich hinlegen.
»Bücher«, fährt Warner fort, zieht die Boxershorts hoch und schließt den Reißverschluss, »kann man leicht vernichten. Doch die Worte bleiben so lange am Leben, wie Menschen sich an sie erinnern. Und Tätowierungen zum Beispiel kann man schwer wieder vergessen.« Er schließt den Hosenknopf. »Ich denke, es hat mit der Unbeständigkeit unserer Zeit zu tun, dass wir uns etwas in die Haut ritzen lassen«, sagt er. »Es erinnert uns daran, dass wir von der Welt gezeichnet und noch am Leben sind. Dass wir niemals vergessen werden.«
»Wer bist du?«
Ich kenne diesen Warner nicht. Ich werde niemals imstande sein, diesen Warner zu erkennen.
Er lächelt in sich hinein. Setzt sich wieder. Sagt: »Das muss keiner erfahren.«
»Wie meinst du das?«
»Ich weiß ja, wer ich bin«, antwortet er. »Das genügt mir.«
Ich bleibe einen Moment lang stumm. Betrachte stirnrunzelnd den Boden. »Muss schön sein, wenn man mit so viel Selbstvertrauen durchs Leben gehen kann«, sage ich dann.
»Du hast doch auch Selbstvertrauen«, erwidert er. »Du bist hartnäckig und ausdauernd. So mutig. So stark. So unmenschlich schön. Du könntest die Welt erobern.«
Ich muss lachen und blicke auf. Sehe ihn an. »Ich weine zu oft. Und ich habe kein Interesse daran, die Welt zu erobern.«
»Das«, sagt er, »werde ich nie verstehen.« Er schüttelt den Kopf. »Du hast nur Angst. Du fürchtest dich nur vor dem Fremden in dir selbst. Du machst dir zu viele Gedanken darüber, ob du andere enttäuschen könntest. Und so«, fügt er hinzu, »lässt du dein Potential verkümmern. Weil du versuchst, die Erwartungen anderer zu erfüllen. Und dich an die Regeln zu halten.« Er schaut mich eindringlich an. »Ich wünschte, du würdest das ändern.«
»Und ich wünschte, du würdest nicht mehr von mir erwarten, dass ich meine Kräfte einsetze, um Menschen zu töten.«
Er zuckt die Achseln. »Ich habe
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