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Rette mich vor dir

Rette mich vor dir

Titel: Rette mich vor dir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tahereh H. Mafi
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nie gesagt, dass du das tun solltest. Aber es wird ohnehin passieren – im Krieg ist das unvermeidlich. Statistisch ausgeschlossen, es nicht zu tun.«
    »Das ist nicht dein Ernst, oder?«
    »Doch, natürlich.«
    »Man kann immer vermeiden, Menschen zu töten, Warner. Zum Beispiel, indem man nicht an einem Krieg teilnimmt.«
    Er lächelt plötzlich, scheint mir nicht zugehört zu haben. »Ich liebe es, wenn du meinen Namen aussprichst«, sagt er. »Kann nicht mal erklären, weshalb.«
    »Aber du heißt doch gar nicht Warner«, wende ich ein. »Sondern Aaron.«
    Das Lächeln wird noch breiter. »Gott, wie wunderbar.«
    »Dein Name?«
    »Nur aus deinem Munde.«
    »Aaron? Oder Warner?«
    Er schließt die Augen. Lehnt den Kopf an die Wand. Die Grübchen sind wieder da.
    Mir wird unvermittelt bewusst, was ich hier eigentlich tue. Ich sitze mit Warner herum, als hätten wir endlos viel Zeit. Als sei die Welt außerhalb dieser Mauern nicht in schrecklichem Aufruhr. Ich habe keine Ahnung, weshalb ich mich immer wieder ablenken lasse, und nehme mir fest vor, das Gespräch diesmal unter Kontrolle zu behalten. Aber als ich den Mund öffne, sagt Warner:
    »Dein Notizheft bekommst du nicht wieder.«
    Ich schließe den Mund wieder.
    »Ich weiß, dass du es zurückhaben willst«, sagt er, »aber ich fürchte, ich muss es für immer und ewig behalten.« Er hält es hoch. Grinst. Steckt es in seine Hosentasche. Einen Ort, den ich nicht zu berühren wage.
    »Warum?« Ich muss es wissen. »Warum liegt dir so viel daran?«
    Er sieht mich lange an. Ohne zu antworten. Schließlich sagt er:
    » An den dunkelsten Tagen muss man nach einem Hauch von Licht suchen, an den kältesten Tagen nach einem Hauch von Wärme; an den trostlosesten Tagen muss man die Augen nach vorne und nach oben richten, und an den traurigsten Tagen muss man die Augen offenhalten, um sie weinen zu lassen. Und dann trocknen zu lassen. Damit der Schmerz hinausfließen kann und sie wieder frisch und klar werden .«
    »Ich kann einfach nicht glauben, dass du dir diese Texte gemerkt hast«, flüstere ich.
    Er lehnt sich wieder zurück. Schließt die Augen. Murmelt: » Nichts in diesem Leben wird mir jemals sinnvoll erscheinen, aber ich werde dennoch weiterhin das Kleingeld sammeln und hoffen, dass es genug ist, um für unsere Fehler zu bezahlen .«
    »Das hab ich auch geschrieben?« Ich kann nicht fassen, dass er jene Worte ausspricht, die von meinen Lippen in meine Fingerspitzen geglitten und auf Papier getropft sind. Will einfach nicht glauben, dass er nun Zugang hat zu meinen verborgensten Gedanken, Gefühlen, die ich mit gequältem Geist ergriffen und zu Worten gezimmert habe, aus denen ich Sätze bildete, Ideen, die ich mit Ausrufezeichen zusammengeheftet habe, Zeichen, die keinen Nutzen haben außer anzuzeigen, wo ein Gedanke endet und ein anderer beginnt.
    Dieser blonde Junge hat meine Geheimnisse in seinem Mund.
    »Du hast vieles geschrieben«, sagt er, ohne mich anzusehen. »Über deine Eltern, deine Kindheit, deine Erlebnisse mit anderen Menschen. Du sprichst über Hoffnung und Erlösung und die Vorstellung, dass ein Vogel vorbeifliegen könnte. Du schreibst über Schmerz. Und wie es sich anfühlt, sich als Monster zu betrachten. Von allen verurteilt zu werden, bevor man auch nur ein einziges Wort mit ihnen gesprochen hat.« Ein langer Atemzug. »Und es kam mir immer wieder vor, als lese ich über mich selbst«, flüstert er. »Als hättest du all das aufgeschrieben, was ich niemals zum Ausdruck bringen kann.«
    Ich wünschte, mein Herz würde still sein still sein still sein still sein.
    »Tagtäglich tut es mir leid«, sagt er so leise, dass ich ihn kaum hören kann. »Dass ich geglaubt habe, was man über dich erzählt. Dass ich dich verletzt habe, obwohl ich glaubte, dir zu helfen.« Er holt tief Luft. »Für mich selbst kann ich mich nicht entschuldigen. Ein Teil von mir ist längst zerstört. Aber ich bedaure, dass ich dich nicht besser verstanden habe. Ich wollte dir mit allem, was ich getan habe, nur helfen, stärker zu werden. Ich wollte, dass du lernst, deinen Zorn als Werkzeug einzusetzen, als Waffe, um deine innere Kraft zu schützen. Ich wollte, dass du bereit bist, gegen die Welt zu kämpfen. Ich habe dich absichtlich provoziert«, flüstert er. »Habe dich zu heftig und zu weit gedrängt, habe absichtlich schreckliche Dinge getan, um dich zu erschrecken und anzuwidern. Denn so habe ich gelernt, mich gegen das Grauen der Welt zu wappnen. So hat man

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