Rettende Engel (German Edition)
beziehungsweise Ihr Amt die Familie?”, fragte er.
„Na, und ob.” Sandra schloss die Reisetasche und seufzte.
„Und da hat niemand etwas unternommen, um den Kindern zu helfen?”, fragte Chris entgeistert.
Sandra drehte sich um und schaute Chris und Kaha nacheinander in die Augen, wie um sicher zu gehen, dass sie ihr auch zuhörten. „Sicher haben wir ‚etwas unternommen’. Aber so einfach ist das nicht. Eltern haben, wie Sie als Polizisten doch vermutlich auch wissen, ziemlich viele Rechte hierzulande.”
„Das ist ja alles schön und gut”, warf Kaha ein. „Aber hat so jemand diese Rechte nicht verwirkt?“ Er zeigte auf die Windeln und Essensreste im Zimmer.
„Rena Karst war zwar eine Alkoholikerin.” Die junge Frau zuckte die Achseln. „Es gelang ihr aber, selbst immer sehr gepflegt auszusehen und die tapfere alleinerziehende Mutter zu spielen. Damit hat sie auch den zuständigen Sozialarbeiter um den Finger gewickelt.”
„Aber nicht Sie?“, wollte Kaha wissen.
„Nein, mich nicht, ich kenne die typischen Anzeichen. Aber ich war ja nicht zuständig.“
Sie nahm Chris die beiden Kinderschlafanzüge aus der Hand und machte sich auf den Weg zur Küche. „Ich bin jetzt auch nur da, weil der Kollege zurzeit im Urlaub ist und ich Bereitschaft habe. Rena Karst konnte, wenn sie wollte, allen eine heile Welt vorspielen – aber dann war sie wieder tagelang mit irgendwelchen Männern unterwegs und sperrte ihre Kinder solange in der Wohnung ein.”
„Und wie geht’s jetzt weiter?”, fragte Chris, während Sandra den beiden Kindern routiniert die Schlafanzüge anzog. Tim war inzwischen eingeschlafen. Miriam schaute zwar alle aus großen braunen Augen an, sagte aber immer noch kein Wort.
„Die beiden müssen erst einmal zur Ruhe kommen. Ich bringe sie zu einem Heim, mit dem wir zusammenarbeiten.”
6
„Tja, wir haben noch einiges vor, ehe wir ‚zur Ruhe kommen’ können”, seufzte Chris und gähnte herzhaft. „Man muss das Eisen schmieden, solange es heiß ist. Die ersten 48 Stunden sind entscheidend.”
Kaha schaute auf seine Uhr. „Schon fast drei. Na, wenigstens sind die Gaffer verschwunden”, fuhr er fort und schaute zufrieden zum Tatort hinüber.
Die Tote war abtransportiert worden, aber die rot-weißen Absperrungsbänder bewegten sich sanft im Wind. In ein paar Stunden würde die Spurensicherung bei Tageslicht dort weiterarbeiten.
Ein einziger Mensch hielt sich noch am Rande des Baugrundstücks auf: der junge Streifenpolizist Nico Breme. Er goss sich gerade aus einer Thermosflasche heißen, wunderbar duftenden Kaffee ein. Den hätte Kaha jetzt gut gebrauchen können, auch wenn er sich ein Gähnen, anders als Chris, verkniff.
„War das Sandra Reichert, die da gerade mit den beiden Kleinen weggefahren ist?”, fragte Nico, als Kaha und Chris ihn erreichten.
„Ja”, antwortete Chris. „Kennst du sie?”
„Ein wenig. Wir haben schon mal zusammengearbeitet. Tolle Frau“, sprudelte Nico hervor. Er wurde rot. „Sehr engagiert”, fügte er schnell hinzu.
„Weshalb wir hier sind”, mischte Kaha sich ein. Er tat so, als ob er nichts bemerkt hätte. „Hast du ausfindig machen können, wo dieser Oliver Marewski wohnt, der laut Zeugenaussagen etwa zur Tatzeit noch unterwegs war?”
„Und dessen Frau immer schreit”, ergänzte Chris.
„Ja, da vorn, zweite Querstraße links, Nummer 23.”
„Sag mal, Karlheinz”, fragte Chris, während sie sich auf den Weg zu der betreffenden Wohnung machten, „sind das eigentlich dieselben Klamotten wie gestern, was du da an hast?” Er war todmüde, und wenn er nicht einen Weg fand, ein wenig Spaß zu haben, würde er noch im Stehen einschlafen. Was lag da näher, als Kaha mit dem Namen anzureden, der auf seinem Ausweis stand und den er, wie alle wussten, hasste: Karlheinz? Er bestand darauf, dass man ihn mit seinen Initialen ansprach: K. H. Oder Kaha, wie er selbst es schrieb, angeblich schon seit Kindertagen.
Kaha sah an sich hinab: „Wie willst du wissen, dass das dieselbe Jeans ist?”
„Weil deine Sachen müffeln. Und es ist ja nicht nur die Jeans. Wie wär’s mal mit einem anderen T-Shirt? Oder mit einem Hemd, wie Erwachsene es tragen?” Chris zeigte auf sein eigenes, dezent hellblau gemustertes, das er vor wenigen Stunden frisch gewaschen und gebügelt angezogen hatte. „Überhaupt: Lederjacke und abgewetzte Jeans”, Chris schüttelte den Kopf und seine Missbilligung war nicht nur gespielt. „Du bist jetzt
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