Rettende Engel (German Edition)
mit Miriam und Tim? Sie sagten, jemand vom Jugendamt habe sie abgeholt? Wir würden uns gerne um sie kümmern.”
„Der Name der zuständigen Mitarbeiterin ist Sandra Reichert. Setzen Sie sich am besten nachher, wenn das Amt öffnet, mit ihr in Verbindung”, sagte Kaha.
„Es tut mir leid, dass wir Ihnen in dieser Frage nicht helfen können”, sagte Chris. Er zog einen Notizblock hervor und fuhr fort: „Könnten Sie uns noch ein wenig über Ihre Tochter erzählen? Wäre das möglich?”
„Zum Beispiel, wer der Vater der Kinder ist und ob sie noch Kontakt zu ihm hatte”, ergänzte Kaha.
In der nächsten halben Stunde erfuhren die beiden, dass der Vater von Miriam bei einem Autounfall ums Leben gekommen und Rena daraufhin vollkommen abgerutscht war. Verlust ihrer Arbeitsstelle als Friseurin, Alkohol, schlechte Gesellschaft – das volle Programm. Wer der Vater von Tim war, wussten die Neumanns nicht. „Vermutlich wusste sie es selbst nicht”, sagte Inge Neumann und Tränen liefen ihr über das Gesicht.
„Ehe Sie jetzt denken, wir hätten uns um nichts gekümmert”, sagte sie trotzig, „Rena ließ sich nicht helfen. Wir haben es so oft versucht. Und wir wollten die Kinder so gerne aufnehmen. Es hätte ihnen bei uns an nichts gefehlt. Aber das Gericht hat anders entschieden.” Ihre Stimme wurde bitter. „Weil Kinder zu ihrer Mutter gehören.”
Draußen auf der Straße sahen die Kommissare sich unschlüssig an. Schließlich fragte Chris: „Willst du mal über die andere Sache sprechen?”
Kaha bedachte ihn mit einem ironischen Lächeln. „Nein, möchte ich nicht. Wir sehn uns morgen.” Er schaute auf die Uhr. „Beziehungsweise in ein paar Stunden.”
„Na gut, es ist schon spät. Aber irgendwann musst du mit mir darüber reden. Das weißt du, oder?“ So schnell gab Chris nicht auf.
Kaha tat so, als habe er nichts gehört.
8
Kaha konnte nicht schlafen. Graues Zwielicht breitete sich in seinem Schlafzimmer aus, denn er hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Vorhänge zuzuziehen. Schon halb sechs. Um neun musste er schon wieder im Präsidium sein, doch er war hellwach. Musste an dem Kaffee liegen, den er bei den Neumanns getrunken hatte.
Er konnte seine Gedanken einfach nicht abstellen. Unentwegt kreisten sie um dieselben Fragen. Doch er grübelte nicht über den neuen Fall, sondern über einen früheren und den erst siebzehn Jahre alten Cem. Hätte er sich anders verhalten müssen? War er unprofessionell gewesen? Er drehte sich von der rechten auf die linke Seite. Und sah, wie am Horizont rot die Sonne aufging.
Er seufzte, wälzte sich aus dem Bett und schlurfte in die Küche. Mit Schlafen würde es wohl nichts mehr. Er suchte sich den saubersten gebrauchten Becher aus, goss kalten Kaffee vom Vortag aus der Kanne der Kaffeemaschine hinein und stellte den Becher in die Mikrowelle.
Die ganze Nacht hatte Cem wach gelegen und darüber nachgedacht, was er schreiben würde. Seine Mutter kam heute zu Besuch und hatte versprochen, Kaha den Brief zu bringen. Die Sache eilte – und doch zögerte er. Beim ersten Tageslicht setzte er sich schließlich an den Tisch in seiner Zelle und begann: „Hi Kaha, du wunderst dich sicher, dass ich dir schreibe.”
Stirnrunzelnd las er, was er geschrieben hatte, verzog das Gesicht und zerriss das Papier in kleine Schnipsel. Dann nahm er sich ein neues Blatt.
Kaha trank seinen Kaffee im Stehen und blickte aus dem Küchenfenster hinaus auf die erwachende Stadt. Die ersten Menschen machten sich auf den Weg zur Arbeit.
Wieso dachte er gerade jetzt an seinen Vater? Diesen saufenden, prügelnden Nichtsnutz, der es bei keiner Arbeit lange ausgehalten hatte? Seine Mutter war gestorben, als er zehn Jahre alt war. Heute verstand er, dass das der Grund gewesen war für seine Schulprobleme. Schließlich musste er das Gymnasium verlassen und auf die Hauptschule gehen. Seinem Vater war das nur recht. Er hatte immer dagegen gestänkert, dass aus seinem Sohn „etwas Besseres” werden sollte.
Kaha goss sich einen zweiten Becher Kaffee ein und trank ihn kalt – doch das bemerkte er gar nicht.
Nur der Hartnäckigkeit seiner Grundschullehrerin verdankte er es, dass er es auf die so genannte höhere Schule geschafft hatte. Wie stolz sie darauf waren: die Lehrerin, seine Mutter und auch er selbst.
Tja, das war gründlich in die Hose gegangen. Und mit ungefähr 14, jünger als Cem jetzt war, hatte er schon die ganze Palette durch: Alkohol, Drogen,
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