Retter eines Planeten - 16
und Lymphe… Granulationsgewebe… Diese Worte mußten doch etwas bedeuten, was ich schon einmal gewußt hatte. Wenn ich eine medizinische Ausbildung besaß, dann fiel mir aber keine Silbe davon ein. Eine Fraktur wußte ich von einer Fraktion nicht zu unterscheiden.
In einem Anfall nervöser Ungeduld riß ich mir den weißen Mantel herunter und schlüpfte in das erstbeste Hemd, das ich fand. Es war ein rotes Ding, das zwischen weißen Mänteln in einem Schrank hing und wie ein exotischer Vogel zwischen Schneebergen aussah. Ich wühlte weiter in Schränken und Schubladen. In einem Fach fand ich eine Mikrokarte, die mir irgendwie vertraut erschien. Mechanisch schob ich sie in das Lesegerät und entdeckte, daß es ein Buch über Bergsteigen war, das ich — wie merkwürdig, mich daran zu erinnern! — als Junge einmal gekauft hatte. Meine letzten Zweifel waren damit zerstreut. Dieses Buch mußte ich gekauft haben, ehe sich meine beiden Persönlichkeiten so scharf voneinander trennten, Jason von Jay. Nun mußte ich glauben, daß es wirklich geschehen war. Ich brauchte es nicht zu akzeptieren, nur zu glauben. Das Buch sah zerlesen aus, und es war auch gar nicht einfach, es in den Schlitz des Lesegerätes zu schieben, so zerfranst war es.
Unter einem Stoß sauberer Unterwäsche fand ich eine flache, halbvolle Flasche Whisky. Mir fiel ein, daß Forth gesagt hatte, er habe Jay Allison niemals trinken gesehen, und plötzlich dachte ich: Der arme Kerl! Ich goß mir einen Drink ein, setzte mich und blätterte das Bergsteigerbuch durch. Ich vermutete, daß die Trennung meiner beiden Persönlichkeiten erst nach meinem Eintritt in die Medizinische Akademie erfolgt war, oder wenigstens so auffällig, daß es dann Wochen, Monate, vermutlich sogar Jahre gab, in denen ich Jay Allisons Gefangener war. Ich versuchte mich einiger Daten zu erinnern, schaute einen Kalender durch und erlebte einen solchen Schock, daß ich ihn weglegte und beschloß, ihn erst wieder in die Hand zu nehmen, wenn ich ziemlich betrunken wäre.
Ob sich wohl meine Erinnerungen aus meinen Jugend- und Studienjahren mit denen Jay Allisons deckten? Wahrscheinlich nicht. Man trifft eine gewisse Auswahl, wenn man vergißt und sich erinnert. Jays dominante Persönlichkeit hatte die meine systematisch verdrängt. Der junge Draufgänger, mehr Darkovaner als Terraner, der begeisterte Bergsteiger, der sich nach einer nichtmenschlichen Welt sehnte, wurde allmählich ertränkt in der kalten, dürftigen Welt des jungen Medizinstudenten, der sich in seine Arbeit wühlte. Aber ich, Jason, mußte doch immer hinter Jay Allison auf der Lauer liegen, weil ich nicht der sein durfte, der ich war? Warum war Jay über dreißig, ich erst zweiundzwanzig?
Die Sprechanlage meldete sich mit einem schrillen Klingeln, und ich tat einen Satz zum Schlafzimmer. „Wer ist da?“ erkundigte ich mich, und eine völlig fremde Stimme fragte: „Dr. Allison?“
„Kein Mensch dieses Namens hier“, antwortete ich automatisch und wollte schon das Mikrophon zurücklegen. Doch dann schluckte ich. „Dr. Forth, sind Sie es?“
Er war es. Ich konnte wieder atmen. Nein, nicht daran denken, was ich antworten müßte, wenn jemand fragte, warum ein Fremder an Dr. Allisons Apparat sei! Als Forth zu Ende war, ging ich zum Spiegel und versuchte hinter meinem Gesicht die scharfen Züge dieses fremden Doktor Jason Allison zu finden. Und dabei mußte ich noch packen. Was sollte ich auf diese Reise in die Berge mitnehmen? Wärmesocken und Windjacken, wie die Jäger, die ich begleitet hatte? Das Gesicht im Spiegel war ein junges Gesicht, faltenlos und mit etlichen Sommersprossen, das gleiche Gesicht wie immer, nur daß die Sonnenbräune verblaßt war. Jay Allison hatte mich allzulange eingesperrt gehalten. Plötzlich knallte ich meine Faust gegen den Spiegel.
„Zum Teufel mit dir, Dr. Allison!“ sagte ich und sah nach, ob er überhaupt Kleider hatte, die ich für die Berge brauchen konnte.
3.
. Dr. Forth wartete auf mich auf dem kleinen Dachflugplatz, auf dem ein schon ziemlich alter Helikopter des Gesundheitsdienstes bereitstand. Forth warf einen erstaunten Blick auf mein rotes Sporthemd. „Hallo, Jason!“ rief er mir entgegen. „Wir haben sofort eine Entscheidung zu treffen. Wollen wir der Mannschaft sagen, wer Sie nun wirklich sind?“
Ich schüttelte nachdrücklich den Kopf. „Ich bin nicht Jay Allison, und ich will weder seinen Namen noch seinen Ruf. Wenn unter den Leuten niemand ist, der Allison wirklich
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