Rettungskreuzer Ikarus Band 005 - Requiem
reinschaute. Sie war ein Opfer wie keines ... oder zumindest
fast keines ...
Captain Sentenza hatte seine Kabine von innen verschlossen, so dass Anande hier
nicht kontrollieren konnte. Der Arzt vermutete, dass der Captain gleichfalls
schwer an dem Verlust trug, doch ihm war sicher klarer, dass er keine unmittelbare
Schuld am Ende der Ikarus hatte – wenn man einmal davon absah, dass
er diese Expedition autorisiert hatte. Er war sich bewusst, dass Sally ihm diesbezüglich
einige unangenehme Fragen stellen würde. Er würde diese beantworten
– mit einer klitzekleinen Ausnahme, die er für sich zu behalten gedachte.
Doch ein Kommando zu verlieren und dabei auch noch hilflos zusehen zu müssen,
das war auch für eine psychisch stabile Persönlichkeit problematisch.
Anande hatte heimlich die Aufzeichnungen der Serviceeinrichtungen in der Kabine
des Captains überprüft und festgestellt, dass dieser den reichlich
vorhandenen Alkohol nicht angerührt hatte. Sentenza hatte demnach seine
Medikation gegen die Alkoholsucht nicht unterbrochen. Er besaß ohne Zweifel
genug Stärke, nicht aus Verzweiflung wieder dem Suff zu verfallen, und
das war eine Beruhigung für den Arzt. Da die internen Sensoren die Lebenszeichen
aller Passagiere kontrollierten, wusste Anande auch, dass Sentenza noch lebte,
und wohl mit seinem Schmerz alleingelassen werden wollte. Der Arzt machte sich
Sorgen, aber nicht so viele wie um Sonja DiMersi. Und die anderen behelligten
ihn nicht mit ihren Problemen, ehe sie diese nicht selbst verarbeitet hatten.
Anande irrte sich selten, doch im Falle des Captains lag er falsch.
Captain Sentenza saß weder zusammengesunken auf seinem Bett, noch stierte
er katatonisch in einen Spiegel. Er wirkte fast entspannt, nicht glücklich,
aber doch auch nicht so tief betroffen, wie man es vermuten könnte. Er
spürte in sich die kalte, klare Wut, die ihn wie ein scharfes Messer bei
Bewusstsein hielt und sein Denken mit präziser, eisiger Energie erfüllte.
Er schwor sich, diesen Vorfall nie zu vergessen, und er schwor sich, nie wieder
ein Schiff zu verlieren. Die Entschlossenheit seiner Gedanken und die beherrschende
Kraft eines verzehrenden Hasses, der ihn erfüllt hielt, überraschten
ihn selbst. Das würde nicht wieder passieren. Er würde alles dafür
tun, dass es nicht wieder passierte.
Nicht noch einmal.
Nie wieder.
Captain Roderick Sentenza erhob sich und holte die kleine Probentasche hervor,
ein Teil der kläglichen Ausrüstung, die sie von der Welt des Wracks
hatten retten können. Sie lag schlaff in seinem Arm, dann legte er sie
auf den Tisch, hielt eine Sekunde inne und lächelte dann freudlos.
Er öffnete sie.
In ihrem Innern, in einer transparenten Plastikschachtel – übrigens
Schlutterware, wie er sich ironisch erinnerte – hermetisch versiegelt,
lag ein kleiner Klumpen jener intelligenten Materie, jenes anpassungsfähigen
Multicomputers, jenes Werkes fremder Mächte, das ihn so beeindruckt, aber
auch so gequält hatte. Es war ein Stück aktiver Materie, aus dem offenbar
abgeschnittenen Teil entnommen, ehe er auch diesen vernichtet hatte. Niemand
von den Kameraden ahnte etwas davon, und er hatte es niemandem erzählt.
Wenn es sich hierbei tatsächlich um eine besondere Materie handelte, die
wie eine Art Künstliche Intelligenz handelte – und davon musste der
Captain nach den Ereignissen ausgehen –, dann hatte er dafür Verwendung.
Sentenza hatte das Potenzial ebenso erkannt wie die Gefahren. Ursprünglich
hatte er vorgehabt, die Probe einem Forschungslabor des Raumcorps' zu übergeben.
Er wusste jetzt etwas Besseres damit anzufangen.
Es würde eine Ikarus II geben, dessen war er sich sicher wie sonst
nichts auf der Welt.
Und dieses Schiff würde ganz, ganz besonders sein. Und niemand außer
ihm würde davon erfahren, bis es nicht mehr zu verheimlichen war. Und dieses
Schiff würde zu keinem Zeitpunkt Opfer von Hinterlist und Intrige werden.
Denn es würde stärker sein als alle anderen.
Und vor allem intelligenter.
Sentenzas freudloses Lächeln verschwand mit dem Probenbehälter in
der Tasche. Er verstaute sie hinter seiner Koje.
Dann blickte er auf die Uhr. Er verließ die Kabine, steuerte auf die von
Sonja DiMersi zu und klopfte verhalten an. Niemand reagierte. Er öffnete
die Tür, ging hindurch und zog sie leise hinter sich zu.
Sonja DiMersi blickte hoch und lächelte dem Captain schwach
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